Der vergessene Völkermord by Manfred Quiring

Autor:Manfred Quiring
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Ch. Links Verlag
veröffentlicht: 2012-12-31T16:00:00+00:00

Das Militärlager hinter den Stromschnellen

Eine ganz besondere Rolle in der kosakischen Geschichte spielten die Dnjepr-Kosaken, besser bekannt als die Saporoscher Kosaken. Sie bildeten den ukrainischen Zweig des Kosakentums. Der russische Maler Ilja Repin setzte ihnen mit seinem berühmten Gemälde »Die Saporoscher Kosaken schreiben einen Brief an den türkischen Sultan« ein bleibendes Denkmal. Ihr Name leitet sich vom Ort ihres Lagers her. Es befand sich hinter den gefürchteten Stromschnellen des Dnjepr, die den Strom südlich von Kiew bis ins 19. Jahrhundert auf 70 Kilometern unschiffbar machten. Stromschnellen heißt auf Ukrainisch »porohy«, auf Russisch »porogi«, »sa« bedeutet hinter.

Die Kosaken nahmen diesen von Norden aus schwer erreichbaren Platz inmitten von Flussarmen und Inseln Mitte des 16. Jahrhunderts in Besitz und nannten ihn Saporoschskaja Sitsch, die Lichtung hinter den Stromschnellen. Die Sitsch, die aus mehreren Niederlassungen auf verschiedenen Inseln bestand, wurde später noch mehrmals verlegt, blieb aber immer unterhalb des Wasserhindernisses.

Sie war zunächst, wie auch in anderen Kosakenniederlassungen üblich, eine reine Männersiedlung, Frauen wurden nicht geduldet. Es sei denn, man raubte sie bei den tatarischen Nachbarn und hielt sie dann als gemeinschaftliche Haussklavinnen oder Konkubinen.118 Hier in der Sitsch hielten sich die traditionelle kosakische Ordnung und die Organisation des kosakischen Lebens während der Kriegsund Beutezüge und in den Ruhepausen dazwischen noch am längsten.

Wichtige Entscheidungen wurden ausschließlich in der Versammlung aller Kosaken, dem Krug, gefällt. Die Entsprechung bei den ukrainischen Kosaken war die Rada, der Rat. Der Begriff existiert in der modernen Ukraine weiter als Bezeichnung für das ukrainische Parlament, die Werchowna Rada.

Der Krug wählte die Offiziere und den obersten Anführer, den Ataman, der im Ukrainischen Hetman heißt. Der Ataman regelte alle Fragen des Alltagslebens in der Siedlung und war gleichzeitig oberster Gerichtsherr, konnte aber jederzeit abgewählt werden. Waren Feld- und Beutezüge geplant, wurden dafür eigene Atamane gewählt, die nach der Rückkehr wieder ins Glied zurücktraten. Ähnliche Strukturen gab es auch bei den Kosaken am Jaik, am Don und am Terek.

Die Saporoscher Kosaken, die eng mit den Don-Kosaken kooperierten, waren in ständige Auseinandersetzungen mit Krimtataren, Nogaiern und Osmanen verwickelt. Man raubte sich gegenseitig das Vieh, versklavte Menschen, um sie auf dem Sklavenmarkt zu verkaufen oder Lösegeld zu erpressen. Zu der Zeit, im 17. Jahrhundert, fanden die großen Überfälle der Kosaken fast ausschließlich auf dem Wasser oder vom Wasser aus statt. Die Kosaken suchten die Küsten des Schwarzen Meeres heim, plünderten 1604 Varna, überfielen Sinop und Kaffa, das heutige Feodosija. 1615 und 1623 gelangten sie bis nach Konstantinopel, dessen Vorstädte sie plünderten und in Brand setzten. Die große osmanische Flotte, die sie 1615 verfolgte, wurde von den Kosaken besiegt und zerstört. Insgesamt sind mehr als 25 große Raubzüge überliefert.119

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