Der ruhende Bacchus. Kriminalroman by Pierre Boileau

Autor:Pierre Boileau [Boileau, Pierre]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783105616970
Herausgeber: FISCHER Digital

9

Nach dem Verlassen des Gerichtssaales hatte Graf de Moncelles sich zusammen mit seinem Anwalt in ein Lokal am Schöffenplatz begeben. Das verkündete Urteil hatte den Schloßherrn vollauf befriedigt, aber er legte Wert darauf, seinem Rechtsvertreter die Gründe seiner Zufriedenheit darzulegen.

«Verstehen Sie mich richtig: ich bin nicht blutdürstig, und ich kann mich nicht darüber freuen, daß ein Mann das Schafott besteigen muß, so schuldig er auch sein mag. Aber dieses Urteil gibt mir neue Hoffnung. Da er zur Höchststrafe verurteilt worden ist, hat René Béchin keinen Grund zum Schweigen mehr. Warum sollte er nach wie vor seine Helfershelfer decken wollen? Schwinden angesichts des Todes nicht auch die stärksten Entschlüsse hin?»

«Ich denke wie Sie», antwortete Rechtsanwalt Sougrès. «Der Mann hatte hoffen dürfen, daß die Unmöglichkeit, den Diebstahl aufzuklären, ihm mildernde Umstände verschaffen würde; jetzt dagegen muß er alles ins Werk setzen, um eine Revision seines Prozesses zu erreichen.»

So redeten die beiden Herren weiter und tranken dabei eine ansehnliche Zahl von Gläsern Bier. Plötzlich unterbrach sich der Anwalt, und sein Blick wurde starr. Seit einigen Augenblicken hatte er am Gerichtsgebäude eine ungewöhnliche Bewegung wahrgenommen sowie ein unaufhörliches Kommen und Gehen bei der Polizeiwache.

«Was ist denn da los? Gestatten Sie?»

Der Anwalt verließ das Lokal und überquerte hastig den Platz. Als er bald darauf wieder zu seinem Mandanten trat, machte Sougrès ein höchst bestürztes Gesicht.

«Der Zellenwagen ist verschwunden!»

«Verschwunden? Was soll das heißen?»

In abgebrochenen Sätzen wiederholte der Anwalt, was er soeben vernommen hatte. Den Grafen de Moncelles traf die Nachricht wie ein Schlag. Bedeutete das Entweichen des Gefangenen nicht das Ende seiner letzten Hoffnung?

«Ja, dann müssen doch aber der Fahrer oder der Wärter mit im Bunde gewesen sein?»

«Dem Anschein nach stehen sie jenseits allen Argwohns.»

«Aber anderseits sagen Sie doch, den Wagen habe niemand angreifen können .?»

«. und er sei bis an das Gefängnistor gelangt, ja.»

«Aber überlegen Sie doch, das ist doch vollkommen unwahrscheinlich!»

«Ja, unwahrscheinlich, das ist der richtige Ausdruck; alle sagen es. Es ist zwar unwahrscheinlich, aber es ist tatsächlich so.»

Aus dem Gesicht des Grafen war alle Farbe gewichen; ein leichtes Zittern hatte ihn befallen.

«Hoffentlich ist sofort nachgeforscht worden.»

«Selbstverständlich. Alle Gendarmerieposten sind alarmiert; die Straßen werden überwacht, der ganze Bezirk wird durchgekämmt.»

«Sagen Sie mir offen Ihre Meinung. Glauben Sie, daß etwas dabei herauskommt?»

«Bestimmt. Ich bilde mir ein, daß der Wagen sehr bald gefunden wird, selbstverständlich leer . Drehwerfer wird verschwunden sein; an den Fahrer und den Wärter, die Ärmsten, wage ich nicht zu denken,»

Nachdenklich sprach der Anwalt weiter:

«Allerdings würde ich mich auch nicht wundern, wenn sämtliche Bemühungen der Polizei vergeblich blieben. Verbrecher, die ein solches Ding gedreht haben, denen kommt man nicht so ohne weiteres auf die Schliche. Nichts beweist uns, daß der Wagen nicht längst in Sicherheit gebracht worden ist, etwa hinter den Mauern eines anständig und harmlos aussehenden Besitztums. Und da nicht sämtliche Privathäuser der ganzen Gegend durchstöbert werden können .»

«Ja, in Sicherheit, mitsamt meinem Bild», flüsterte der arme Graf; er verfiel nach diesen Worten einer solchen Erschlaffung, daß der ernstlich beunruhigte Anwalt es nicht über sich brachte, ihn allein zu lassen.

Die Kunde hatte

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