Der rote Strich by Serner Walter
Autor:Serner, Walter [Serner, Walter]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Manesse Verlag
veröffentlicht: 2015-09-28T16:00:00+00:00
Das sicherste Spiel
Reinac betrat, seit einigen Stunden erst in Genua, gegen elf Uhr nachts einen geheimen Spielklub in einem Neubau auf dem Corso Andrea Podestà. Die Adresse besaß er von dem beflissenen Portier seines Hotels.
Es wurde Bac gespielt. Reinac verlor sechshundert Lire und brachte es über sich, aufzuhören. In der Bar machte er die Bekanntschaft des jungen Baron Cavarri, der mit seiner Maitresse, einer zierlichen Französin aus Avignon, so meisterhaft die Bar beherrschte, dass sein erster Eindruck gewesen war: «Der Junge macht das als Nebenverdienst.»
Nach wenigen Worten wurde er jedoch an dieser Auffassung irre. Er nahm, sein Interesse hinter witzigen Äußerungen verbergend, allerlei über die Vermögensverhältnisse Cavarris wahr, das ihm in solchem Maße bemerkenswert erschien, dass er das Paar für den nächsten Abend zum Diner lud, um in einem sichereren Spiel sich zu versuchen …
Es war ein Uhr nachts, als Reinac auf die Straße trat. Vom Wein und Spielverlust erregt und bereits eine Kombination erwägend, winkte er einem Taxi und fuhr in die Via Caffaro.
Huguette, im Nachthemd, flog ihm mit einem Aufschrei an den Hals. Es dauerte länger als eine Viertelstunde, bis sie so weit zu Atem kam, um zusammenhängend sprechen zu können.
Plötzlich bemerkte sie, während sie Reinac noch durch feuchte Schleier hindurch betrachtete, was eine Frau sonst augenblicklich fühlt. Sie jubelte: «O, meiner süßer kleiner Bébert, komm her zu mir!» Und schon riss sie ihn, dem sie lediglich zuvorkam, an sich und wälzte sich mit ihm auf die Ottomane …
Nachher weckte sie ihre Zofe, ließ ein frugales Souper auftragen und gebärdete sich närrisch vor Vergnügen. «Et Spielmann? Was er macht der ganzer Zeit?»
Reinac trank belustigt. «Der hat sich schwer verkühlt bei jener Reise.»
«Va, gouchat que t’es!228 Spiel nicht der Schwierigen!»
«Er singt in Marseille.»
«Singt?»
«Noch drei Jahre.»
Huguette senkte ein paar Sekunden ihr hold zerwühltes Köpfchen. «Pardon, das ich es machte nur aus der Gewohnheit … O, und er sagte solcher entzückender Witze. Wie du, fast. Du dich erinnerst, wie er hat an Marie empfohlen, sie soll nicht lassen so oft sich dividieren, das marschiert dann auf einen Bruch hinauf … hinab … hinaus? Et Georges? Ça biche bien?229»
«Ah, das ist ganz schrecklich!»
«Er hat vielleicht einen magasin230?»
«Schlimmer. Eine erotische Wäscherei.»
«Erotique?» Huguette zerfurchte erfolglos ihre kleine Stirn. «Je n’y vois pas d’inconvénient.»231
Reinac hielt sich, als träume er, die Wangen. Dann wimmerte er: «Er soll in Meran verheiratet sein.»
«Filons!»232 Huguette schmatzte schmerzerfüllt. «Mais toi, toi, Bébert!233 Woher du kommst? Wo du gehst hin? Was hast du bei … mit … vor? Eh bien,234 was du hast hinter dich?»
«Ma chère Guette …»235
«Chiqué!236 Du liebst schon mir noch. Dis pas non!237 Du mich hast immer geliebt, Bébert. Und zwar heiß.»
«Ein Wiedersehen nach langer Zeit macht stets so erregt und neugierig, dass man diesen Zustand gerne mit Liebe verwechselt.»
Huguette machte reizvoll böse Augen. «O, ich wiedererkenne. Ich habe immer gesagt, dass du bist einer mit der esprit. O, meiner süßer kleiner Bébert … Aber das ist Unsinn!»
«Meine Belobung!» Reinac schmunzelte, ein wenig zu selbstgefällig. «Liebe ist wirklich ein Unsinn. Es sei denn, man übt ihn aus.»
«C’est kif-kif.238 Wir haben doch sogleich geübt.
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