Der nasse Fisch by Volker Kutscher

Der nasse Fisch by Volker Kutscher

Autor:Volker Kutscher [Kutscher, Volker]
Die sprache: eng
Format: epub
Tags: Gereon Rath 1
veröffentlicht: 2012-01-18T16:00:00+00:00


20

Nun also saß er der Legende gegenüber. Denn genau das war Kriminalrat Ernst Gennat. Buddha wurde der Chef der Mordinspektion genannt. Seiner stoischen Ruhe wegen, aber mehr noch aufgrund seiner Leibesfülle, die ihm von weniger respektvollen Zeitgenossen auch den Spitznamen der volle Ernst eingetragen hatte. Gennats Leidenschaft für Kuchen war in der ganzen Stadt bekannt. Früher hatte er sogar das Mordauto auf dem Weg zu einem Einsatz oft an einer Konditorei halten lassen. Erst mit reichlich Kuchen im Gepäck ging es dann weiter zum Tatort. Das war schon ein paar Jahre her, mittlerweile fuhr Gennat selbst nur noch höchst selten hinaus. Das war auch nicht mehr nötig, denn die Mordinspektion, wie er sie am Alex aufgebaut hatte, war mit handverlesenen Beamten besetzt und konnte die erfolgreichste Aufklärungsquote in der ganzen Burg aufweisen. Meist blieb Gennat in seinem fast wie ein Wohnzimmer eingerichteten Büro sitzen, aß Kuchen und zog die Fäden. Er wusste über alle Ermittlungen Bescheid, besonders knifflige Verhöre übernahm er immer noch selbst, sein psychologischer Scharfsinn war berüchtigt. Er hatte schon die abgebrühtesten Kerle dazu gebracht, ihm ihr Herz auszuschütten.

Rath konnte sich das lebhaft vorstellen, jetzt, wo er dem Mann gegenübersaß, dem dieser Ruf vorauseilte. Gennat wirkte gemütlich, fast schläfrig, und schien sein Doppelkinn mit einem gewissen Stolz zu tragen. Doch Rath ließ sich nicht täuschen, aus diesem weichen Gesicht blitzten zwei wache Augen. Zwei Augen, die den neuen Kommissar jetzt neugierig anschauten.

Sie hatten nicht am Schreibtisch Platz genommen, sondern an einem Wohnzimmertisch, an dem zwei grüne Sessel und ein grünes, durchgesessenes Sofa standen. Gerade hatte sich die Tür zum Vorzimmer geöffnet, und Gertrud Steiner, Gennats langjährige Sekretärin, balancierte ein Tablett mit Tee und einer üppigen Kuchenauswahl an den Tisch. Während sie den Männern den Tee einschenkte, übernahm Gennat selbst das Verteilen des Kuchens. Rath bat um Nusskuchen, mehr konnte er um diese Uhrzeit nicht vertragen. Gennat schaufelte sich selbst ein riesiges Stück Stachelbeertorte auf den Teller.

»Danke, Trudchen.« Gennat sank zurück in die grünen Polster. »Lassen Sie es sich schmecken, Herr Rath«, sagte er und nahm einen Schluck Tee. »Sie sind noch nicht lange in Berlin?«

»Knapp zwei Monate.«

»In welcher Inspektion?«

»E.«

»Und vorher waren Sie in Köln?«

»Ja.«

»Schon einmal in einem Mordfall ermittelt?«

»Mehrfach. In Köln haben wir keine feste Mordinspektion wie hier, aber es gibt Spezialisten. Und bei Tötungsdelikten wurde meistens ich hinzugezogen.« Verkauf dich so gut wie möglich, dachte er.

Gennat schien das nicht zu beeindrucken. »Man hat mir Ihre Dienste sehr ans Herz gelegt. Der Herr Polizeipräsident kennt Sie von früher?«

»Richtig. Ich habe unter Herrn Zörgiebel schon in Köln gearbeitet. Er hat mir dort auch schon die Leitung von Ermittlungen anvertraut. «

Gennat nickte und nahm eine Gabel von dem Kuchen. Rath nutzte die Pause und biss ein Stück von seinem Nusskuchen ab. Er nickte anerkennend. Der beste, den er in Berlin bislang gegessen hatte. Gennat wusste, wo man einkauft.

»Nun, Herr Rath, hier bei uns werden Sie erst einmal in einer bereits eingearbeiteten Truppe eingesetzt. In der Mordkommission Mäckembrücke brauchen wir jeden Mann.«

Mordkommission Mäckembrücke war der offizielle Name für den Fall Wassermann. Von wegen veran-twortungsvolle Aufgaben! Wäre ja auch zu schön gewesen, um wahr zu sein.



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