Der menschliche Faktor by Graham Greene

Der menschliche Faktor by Graham Greene

Autor:Graham Greene [Greene, Graham]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Volk und Welt
veröffentlicht: 2019-12-12T16:00:00+00:00


2

»Das hätte ich nicht erwartet«, sagte Dr. Percival zu ihnen: Castle fand, das sei eine merkwürdig gleichgültige Redewendung bei einem solchen Anlaß, eine Redewendung so kalt wie die arme Leiche, die in einem zerknitterten Pyjama auf dem Bett ausgestreckt lag, mit weit offener Jacke und entblößter Brust, die man zweifellos vor geraumer Zeit vergeblich nach dem letzten Herzschlag abgehorcht und untersucht hatte. Castle hatte Dr. Percival bisher als einen sehr herzlichen Menschen empfunden, doch diese Herzlichkeit war angesichts des Toten eingefroren, und ein nicht dazupassender Ton wie eine verlegene Rechtfertigung lag in der seltsamen Redewendung, die er benutzt hatte.

Die plötzliche Veränderung der Umgebung traf Castle, als er jetzt in diesem ungepflegten Zimmer stand, wie ein Schlag ‒ nach dem Gewirr fremder Stimmen, den Schwärmen von Porzellaneulen und dem Knallen von Champagnerkorken bei Mrs. Daintry. Dr. Percival war nach diesem einen unglückseligen Satz wieder in Schweigen verfallen, und auch niemand sonst sagte etwas. Er war von dem Bett einen Schritt zurückgetreten, so als stellte er ein Gemälde einigen unfreundlichen Kritikern zur Schau und warte mit bösen Ahnungen auf ihr Urteil. Auch Daintry schwieg. Er schien sich damit zu begnügen, Dr. Percival zu beobachten, als wäre es dessen Sache, einen offenkundigen Fehler wegzudisputieren, den man auf dem Bild finden konnte.

Castle konnte das lange Schweigen nicht mehr ertragen.

»Wer sind diese Männer im Wohnzimmer? Was tun sie?«

Dr. Percival wandte sich widerstrebend vom Bett ab. »Welche Männer? Ach, die. Ich bat die Staatspolizei, sich ein wenig umzuschauen.«

»Warum? Glauben Sie, daß man ihn umgebracht hat?«

»Nein, nein. Natürlich nicht. Nichts dergleichen. Seine Leber war in einem grauenhaften Zustand. Vor ein paar Tagen wurde er geröntgt.«

»Warum sagten Sie dann, das hätten Sie nicht erwartet …?«

»Ich erwartete nicht, daß es so schnell ginge.«

»Es wird doch wohl eine Obduktion vorgenommen?«

»Natürlich. Natürlich.«

Die »Natürlich« vervielfachten sich wie Fliegen um die Leiche.

Castle ging in das Wohnzimmer zurück. Auf dem Kaffeetisch standen eine Flasche Whisky und ein benutztes Glas, daneben lag eine Nummer des Playboy.

»Ich habe gesagt, er muß das Trinken aufgeben«, rief Dr. Percival Castle nach. »Aber er wollte nicht hören.«

Im Zimmer werkten zwei Männer. Der eine von ihnen nahm das Playboy-Heft, durchblätterte es und schüttelte die Seiten aus. Der andere durchsuchte die Schreibtischladen. Er sagte zu seinem Gefährten: »Hier ist sein Adreßbuch. Geh die Namen durch. Überprüf die Telefonnummern, falls sie nicht übereinstimmen.«

»Ich verstehe immer noch nicht, was die suchen«, sagte Castle.

»Nur eine Sicherheitsmaßnahme«, erklärte Dr. Percival. »Ich versuchte Sie zu erreichen, Daintry, weil dies ja eigentlich Ihre Sache ist, aber Sie waren bei einer Hochzeit oder so was.«

»Ja.«

»Es scheint in letzter Zeit eine gewisse Achtlosigkeit im Büro um sich gegriffen zu haben. C ist zwar fort, aber er hätte bestimmt gewünscht, daß wir uns versichern, ob der arme Kerl nicht am Ende etwas hat herumliegen lassen.«

»Wie Telefonnummern in Verbindung mit falschen Namen?« fragte Castle. »Das würde ich nicht gerade eine Achtlosigkeit nennen.«

»Diese Freunde müssen eine Routine einhalten. Stimmt’s, Daintry?«

Aber Daintry antwortete nicht. Er stand auf der Schwelle des Schlafzimmers und sah die Leiche an.

Einer der Männer sagte: »Guck dir das mal an, Taylor.



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