Der lange Schatten by Bernhard Jaumann

Der lange Schatten by Bernhard Jaumann

Autor:Bernhard Jaumann [Jaumann, Bernhard]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Kriminalroman
ISBN: 9783644310018
Herausgeber: Rowohlt E-Book
veröffentlicht: 2015-02-10T16:00:00+00:00


Der Gedenkgottesdienst fand in der Matthäus-Kirche statt. Die offizielle namibische Delegation hatte in den vorderen Bankreihen Platz genommen. Zwischen den Anzugträgern stachen die Herero-Frauen in ihren bodenlangen, faltenreichen Kleidern heraus. Ihre Vorfahren hatten die viktorianischen Schnitte vor mehr als hundert Jahren von den Frauen der deutschen Eroberer übernommen, ihnen aber durch die Verwendung knallbunt bedruckter Stoffe ein entschieden afrikanisches Gepräge gegeben. Sie hatten sich das Fremde angeeignet und zu ihrer unverwechselbaren, bis heute lebendigen Tradition umgeformt, während die Trachten der deutschen Siedlerfrauen höchstens noch im Museum zu sehen waren. Konnte man das als eine Art von symbolischem Sieg über die Deutschen interpretieren? Zumindest schien es für Claus Tiedtke zu belegen, wie unbeirrbar die Hereros an einmal getroffenen Entscheidungen festhielten. Allem Wandel der Welt zum Trotz.

Wie fast immer bei solchen Veranstaltungen, saß Claus weit hinten. Er wollte die Zeremonie so wenig wie möglich stören, sich aber trotzdem Notizen machen, falls der namibische Landesbischof Zameeta oder seine deutschen Mitzelebranten Berichtenswertes verkünden sollten. Wer auf politisch Brisantes gehofft hatte, wurde allerdings enttäuscht. Der Gedenkgottesdienst verlief ruhig und feierlich, die Predigten und Ansprachen konzentrierten sich ganz auf das Andenken an die Opfer von damals, ohne die Täter anzuklagen. Allenfalls aus Zameetas Aussage, dass die Vergangenheit einen langen Schatten werfe und dass die Toten zu echter Versöhnung in der Gegenwart mahnten, konnte man einen indirekten politischen Appell heraushören.

Viel stärker zu spüren war eine leise Genugtuung darüber, dass die Schädel der Ahnen nach so langer Zeit endlich zurück in die Heimat gebracht werden würden. Sie breitete sich vom Altar her aus und schien die gesamte namibische Zuhörerschaft zu erfassen. Obwohl er weit weniger betroffen war, konnte sich auch Claus diesem Gefühl nicht entziehen. Es leuchtete plötzlich völlig ein, dass es nicht um ein paar Knochen und schon gar nicht um deren politischen oder ökonomischen Tauschwert ging. Die wiederhergestellte Würde der Toten schien auf fast magische Art zu garantieren, dass auch die Nachgeborenen als gleichberechtigte Menschen respektiert würden.

Die Messe neigte sich bereits dem Ende zu, als Claus’ Handy vibrierte. Er hatte es nicht ganz ausgeschaltet, weil er eine Nachricht von Clemencia keinesfalls verpassen wollte, und tatsächlich leuchtete ihre Nummer auf. Claus verließ die Kirche und rief zurück, als er draußen vor dem Portal stand. Er freute sich, Clemencias Stimme zu hören, auch wenn sie betont sachlich klang. Clemencia berichtete, was sie über Kaiphas Riruako herausgefunden hatte. Beziehungsweise über den immer noch unbekannten Mann, der mit einem originalen Pass auf diesen Namen durch Deutschland reiste, Gräber verwüstete und Polizisten umbrachte.

«Also ist er kein Verwandter des Herero Chiefs?», fragte Claus.

«Über den Namen kommen wir jedenfalls nicht weiter.»

Hatte Clemencia gerade «wir» gesagt? Nicht «du» und «ich» oder «dein Job» und «mein Leben»? Wahrscheinlich ersetzte das «Wir» nur ein unbestimmtes «Man». Oder sie hatte von sich, ihrem Bruder und ihren Mitarbeitern gesprochen. Claus fragte: «Wie meinst du das?»

«Er heißt mit einiger Sicherheit nicht Riruako, aber er könnte seiner Gefolgschaft angehören, in die Familie eingeheiratet haben, ein sonstiger Vertrauter sein. Man müsste bei den politisch aktiven Hereros nachforschen, bei der NUDO, beim Genozid-Komitee, aber ich schaffe das nicht, Claus.



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