Der lange Atem der Bäume by Peter Wohlleben

Der lange Atem der Bäume by Peter Wohlleben

Autor:Peter Wohlleben [Wohlleben, Peter]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Fach-/Sachbuch
Herausgeber: Ludwig Buchverlag
veröffentlicht: 2021-06-18T12:41:03+00:00


Der Wolf als Klimaschützer

Zugegeben: Es klingt schon ein wenig an den Haaren herbeigezogen, den Wolf neben seiner Bedeutung als Ikone für den Artenschutz nun auch noch als Held im Kampf gegen den Klimawandel zu stilisieren. Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich ihn als wichtigen Bestandteil der Natur erachte und mich wirklich freue, dass er so erfolgreich seine alte Heimat wiederbesiedelt. Die grauen Jäger wurden nicht ausgesetzt, sondern wanderten von allein in ihre alten Heimatregionen zurück, seit sie 1990 unter Schutz gestellt wurden. Die Leistung von Politik und Bevölkerung war eher passiver Natur, sie bestand nämlich ausschließlich darin, diese Rückkehr zuzulassen. Die letzten Wölfe wurden in meiner Eifelheimat Ende des 19. Jahrhunderts erlegt, und damit verschwanden die Beutegreifer auch aus ganz Deutschland. Der Startschuss für die Wiederbesiedlung fiel im Jahr 2000, als in Sachsen ein Wolfspaar den ersten Nachwuchs nach über 100 Jahren zur Welt brachte. Von dort aus breitete sich die Art immer weiter nach Westen aus, während von Südeuropa aus eine langsame Wiederbesiedlung nach Süddeutschland stattfand. Und auch wenn sich hier in der menschenleeren Eifel bis jetzt kaum ein Wolf blicken lässt, kann sich die Zwischenbilanz durchaus sehen lassen: Stand Ende 2020 lebten 128 Rudel, 35 Paare und zehn Einzeltiere in Deutschland, es gab demnach 173 Reviere, in denen im Frühjahr 2020 431 Welpen das Licht der Welt erblickten.75

Wölfe fressen überwiegend Fleisch, und zwar in Form von Rehen, Hirschen, Wildschweinen oder auch Haustieren. Risse an Letzteren sorgen immer wieder für Schlagzeilen und bringen den Wolf in Verruf – zu Unrecht. Nach Untersuchungen des Senckenberg-Forschungsinstituts in Görlitz besteht weniger als ein Prozent der Beute aus Nutztieren.76 Die Debatte um Schaf- oder andere Nutztierhalter möchte ich hier aber gar nicht führen – das habe ich in den Vorgängerbüchern bereits getan. Die Frage ist ja vielmehr, womit Forschende begründen, dass der Wolf uns helfen kann, den Klimawandel in den Griff zu bekommen.

Die naheliegende Antwort ist ganz einfach: Wölfe fressen andere Tiere, und zwar vorwiegend große Pflanzenfresser. Rehe und Hirsche, immerhin über 75 Prozent der Beute, ernähren sich ja rein vegetarisch. Dabei verdauen sie die aufgenommene Vegetation, sprich, ihr Körper zerlegt nennenswerte Anteile des zerkauten Grünzeugs wieder zurück in CO2 und Wasser. Wo große Pflanzenfresser unterwegs sind, kann sich deshalb weniger Kohlenstoff in lebender oder abgestorbener Vegetation anreichern.

Ob Wölfe wirklich einen nennenswerten Einfluss auf die Bestandshöhe von Rehen und Hirschen haben, darf bezweifelt werden. Dazu müssten sie mehr fressen, als sie rein physisch überhaupt könnten, wie man leicht ausrechnen kann. Ein durchschnittliches Wolfsrevier ist zwischen 100 und 350 Quadratkilometer groß, je nach Höhe der Beutetierpopulation.77 Nehmen wir einmal den kleineren Wert, also 100 Quadratkilometer. In waldreichen Revieren sollten sich darin je nach Lebensraumqualität 20–70 große Säugetiere (Rehe, Hirsche und Wildschweine) pro Quadratkilometer tummeln, im gesamten Wolfsrevier also 2000–7000. Diese potenziellen Beutetiere bringen jedes Jahr vorsichtig geschätzt 2000 bis 3000 Jungtiere zur Welt. Selbst bei dieser zurückhaltenden Rechnung wird schnell klar, dass das Rudel jeden Tag etliche große Beutetiere reißen müsste, um den Bestand zu dezimieren – solche Vielfraße sind Wölfe aber nicht.



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