Der hinkende Rhythmus by Gaye Boralıoğlu

Der hinkende Rhythmus by Gaye Boralıoğlu

Autor:Gaye Boralıoğlu
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: binooki Verlag
veröffentlicht: 2013-05-15T00:00:00+00:00


Halil gelang es nicht, nach Hause zu fahren. Noch bevor er Unkapanı erreicht hatte, bremste er scharf, kam plötzlich zur Besinnung wie jemand, der aus einem Albtraum erwacht, und erfasste mit Entsetzen die Ausmaße seiner Tat. Er wendete mit quietschenden Reifen, parkte den Wagen vor der alten Galata-Brücke und sprang hinaus.

Er beugte sich an der Brüstung hinunter, riss die Augen weit auf und erhoffte sogar von dem schwachen Lämpchen seines Feuerzeugs Hilfe, um irgendwo im dunklen Wasser Güldanes Umrisse zu entdecken, konnte aber nichts sehen.

Während er verzweifelt hin und her lief, fiel platsch! ein Tropfen auf seine Hand; ein dunkelroter Tropfen. Platsch! Dann noch einer. Platsch … platsch … platsch …

Er befühlte seine Nase. Und da entleerten sich alle Adern seines Hirns in seine Hand.

Halil stieß einen kräftigen Fluch aus. Er rannte zum Auto, fand einen Lappen, presste ihn gegen die Nasenlöcher und ließ sich auf den Sitz fallen. Er lehnte den Kopf zurück und blieb eine Weile so sitzen.

Ein leichter Schwindel überkam ihn. Ein ungebetener Taumel … Eine skrupellose Erschöpfung … Aber er wollte auf keinen Fall erbrechen. Auf keinen Fall das Bewusstsein verlieren. Er wollte gesund und munter, mit erhobenem Haupt wie ein ganzer Kerl heimkehren.

Halil zog tief Luft ein. Dann sammelte er seine ganze Kraft, jedes einzelne Bröckchen, das ihm noch geblieben war, und startete den Motor. Eine Hand mit dem Lappen an der Nase, die andere auf dem Lenkrad, fuhr er los. Er spürte, wie ein warmer, dünner Faden an seinem Handgelenk und weiter am Unterarm und weiter zum Ellenbogen hinabrann, und sah, dass der nasse Fleck auf seinem Hemd jede Minute ein wenig weiterwuchs.

Wenn er den Arm senkte, um den Gang zu wechseln, wechselte auch das Blut seine Richtung. Der Schalthebel war glitschig.

Draußen wurde es heller, aber Halil hatte immer größere Mühe, seine Umgebung zu sehen. Die Einsamkeit auf den Straßen löste sich allmählich auf, der Morgen begann bereits, Müllwagen, Autobusse und Frühaufsteher auszuspucken.

Alles trieb auf Halil zu.

Ein greller Scheinwerfer blendete ihn. Als er die Augen schloss, dämmerte er leicht ein. Ein süßer Schlaf zog ihn mit großer Macht zu sich. Ein Vorhang wurde zugezogen, die Lichter verdunkelten sich. Nein, er konnte nicht mehr weiter. Verdunkelten … konnte nicht … dunkel … wei…

Als Halil wieder aufwachte, war es hell geworden. Er hatte irgendwo auf der Höhe von Tarlabaşı am Straßenrand gehalten. Er war überall blutverschmiert. Auch der Wagen … überall … blutverschmiert. Aber er fühlte sich ein wenig besser. Halil startete den Motor und drückte aufs Gas.

Gegen sieben kam er zu Hause an und lief schnurstracks ins Badezimmer. Da erblickte er sich selbst: ein entstelltes Gesicht … die Augenränder ganz blau … die Nase schief und angeschwollen … das Blut getrocknet … wieder ausgeströmt … Blut … ausgeströmt … getrocknet … wieder ausgeströmt …

Und wieder wurde ihm schwindlig.

Er blieb stehen.

Wasser!

Er drehte den Hahn auf.

Er wusch sich das Gesicht. Er wusch es nochmal … und dann noch einmal. Je mehr er wusch, umso mehr Blut floss in die Kanalisation Istanbuls … getrocknetes Blut … wieder ausgeströmtes … getrocknetes … Blut … ausgeströmt … in die Kanalisation …

Blut.



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