Der goldene Sohn by Shilpi Somaya Gowda

Der goldene Sohn by Shilpi Somaya Gowda

Autor:Shilpi Somaya Gowda [Gowda, Shilpi Somaya]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 978-3-462-31519-6
Herausgeber: Kiepenheuer & Witsch Verlag
veröffentlicht: 2016-01-06T16:00:00+00:00


19

Im Rettungswagen verabreichten sie Baldev Sauerstoff und eine Infusion, aber er war weiterhin nicht ansprechbar, stöhnte nur einige Male leise tief aus der Kehle. Als sie vor der Notaufnahme hielten, wartete das Traumateam schon draußen. Die Sanitäter schoben Baldevs Trage hinaus und rasselten seine Vitalwerte herunter. Anil schaute sich suchend nach dem Leiter des Notaufnahmeteams um und entdeckte eine vertraute untersetzte Gestalt: Eric, der Extremsportler und Pizza-Sandwich-Esser, Anils Ausbilder bei seiner ersten Rotation, der damals Zeuge seiner Unerfahrenheit geworden war.

»Patel!«, rief Eric über die Trage. »Freund von Ihnen?«

Anil nickte. »Schwere Gewalteinwirkung auf Brust, Abdomen und Rücken. Multiple Verletzungen an Gesicht und Händen. Eingebettete Glassplitter.« Er lief neben der Rolltrage durch den Eingang der Notaufnahme.

»Waffen?«, fragte Eric.

Vor Anils Augen wirbelten die gestickten Muster auf der Spitze des Cowboystiefels, die zerbrochene Bierflasche unter nackter Haut, die geballte Faust so hart wie Stein. Die höhnischen Stimmen hallten ihm durch den Kopf. Nigger. Paki. Kameltreiber.

»Gott«, sagte Eric kopfschüttelnd. »Ihren Kumpel hat’s übel erwischt.«

Sie kamen in einen der Schockräume, wo ein Team aus Krankenschwestern und Ärzten Baldevs Trage umringte und Anil an den Rand drängte.

»Okay, Patel, ab hier übernehmen wir«, sagte Eric. Seine Augen wanderten von Anils Gesicht zu seinem blutigen Hemd. »Sie sollten sich untersuchen lassen. Warten Sie in Raum 2 …«

Anil schüttelte den Kopf. »Nein. Ich bleibe.« Eine Schwester beugte sich vor und drückte EKG-Elektroden auf Baldevs Brust. »Das ist nicht mein Blut, es ist seins.« Eine Anwandlung von Mut ließ seine Worte flüssig über die Lippen kommen. »Eric, hören Sie, ich denke, eine gebrochene Rippe auf der rechten Seite könnte bei ihm zu einem traumatischen Pneumothorax geführt haben.«

Eric steckte sein Stethoskop in die Ohren und lauschte. »Keine Kurzatmigkeit. Haben Sie irgendwas mit dem Stethoskop gehört?«

Im Geiste sah Anil den dicken schwarzen Absatz auf Baldevs ungeschützte Wirbelsäule krachen. Er hörte das Echo des Knackens in den Ohren widerhallen. »Nein«, sagte Anil. »Aber ich hab gesehen, dass seine Brust sich ungleichmäßig hebt, als ich seine Atmung gecheckt habe, auf der rechten Seite etwas niedriger als links.«

»Okay.« Eric hängte sich das Stethoskop um den Hals. »Ab mit ihm zum CT. Dann können wir auch gleich feststellen, ob spinale Verletzungen und Knochenfrakturen vorliegen …«

»Nein!«, fiel Anil ihm ins Wort. Die Schwester sah ihn überrascht an. Gemäß den Regeln der Hierarchie hatte Eric hier eindeutig das Sagen, Anil hatte nicht mal Dienst. »Wir können nicht auf ein CT warten«, erklärte Anil. »Möglicherweise braucht er eine Thoraxdrainage. Wir sollten sofort einen Ultraschall machen. Jetzt und hier.«

Eric starrte ihn einen Moment lang an. Das normale Verfahren bei einem stabilen Patienten war ein CT-Scan, und das wussten sie beide sehr genau. Anil wappnete sich innerlich. Er wusste, dass er bei Eric eine Grenze überschritten hatte. Der Mann hatte zwei Dienstjahre mehr auf dem Buckel. Aber das war ihm scheißegal.

»Also gut, Patel. Wie Sie wollen«, sagte Eric. Und rief über die Schulter: »Ich brauch ein Ultraschallgerät, einen Notfallwagen und ein Thoraxdrainage-Set.«



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