Der gefallene Engel by Theodor Kallifatides
Autor:Theodor Kallifatides [Kallifatides, Theodor]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Saga
veröffentlicht: 2015-04-09T22:00:00+00:00
12
* * *
Maria pflegte auch zu kommen, fast jedesmal zu spät zwar, aber sie kam. Ich dagegen war immer pünktlich, ein einziges Mal war ich nicht pünktlich, und da bin ich gar nicht dorthin gegangen, wohin ich sollte. Hat sie sich jemals entschuldigt? Habe ich mich jemals entschuldigt? Das war nicht mehr wichtig, alles hatte sich damals verändert, und man konnte nichts ungeschehen machen.
Manchmal furchen unsere Taten die Seele wie der Pflug ein Feld im Frühling. Die Pflugfurche bleibt, und sie wird bestehen bleiben, und was man sät, muß man in derselben Furche ernten. Ich hatte keinen Weg zurück zu Maria, keinen Weg zurück zu dem, der ich damals war; ich war ein anderer geworden, indem ich nicht dorthin kam, wo sie mich erwartete.
Der Gedanke daran schmerzte. Ich öffnete das Fenster einen Spalt und warf die Zigarette hinaus, nachdem ich eine neue angezündet hatte. Ich versuchte, die Kippe in weitem Bogen zu werfen, es hätte mir gefallen, ihre Bahn im Halbdunkel zu verfolgen, aber sie fiel ziemlich an der Hauswand entlang hinunter. Ich spürte so etwas wie Enttäuschung, eine vage Unzufriedenheit über mich, so als wäre ich Nero und hätte vergeblich versucht, Rom in Brand zu stecken.
Ich rief bereits einen Tag, nachdem ich ihre Telefonnummer bekommen hatte, bei Maria an. Ihr Vater war am Apparat, und ich behauptete sofort, ich hätte falsch gewählt.
«Sie haben keineswegs falsch gewählt, junger Mann! Warten Sie, ich werde Maria rufen!»
Damals war es nicht üblich, daß ein Vater seine Tochter ans Telefon holte, wenn ein junger Mann anrief. Damals war es eher üblich, daß der junge Mann eine Portion ermahnender Worte des Vaters über sich ergehen lassen mußte, und dann wurde das Gespräch auf die bekannt abrupte Art beendet.
Maria lachte, als sie ans Telefon kam.
«Papa hat allmählich genug von all den Dummköpfen, die behaupten, falsch gewählt zu haben! Du hättest dir wirklich etwas anderes einfallen lassen können!»
Der Satz «du hättest dir wirklich etwas anderes einfallen lassen können» hätte unser Leitmotiv sein können. Ich sollte mir immer etwas anderes einfallen lassen als das, was mir einfiel. Maria hielt meine Phantasielosigkeit nicht aus, meine Unfähigkeit, sie zu überraschen, und ich mußte ihr recht geben. Meine Angst, sie zu verlieren, hinderte mich daran, etwas zu wagen, ein Risiko einzugehen, etwas herauszufordern. Ich war ganz einfach feige, und das einzige Mal, wo ich mir etwas einfallen ließ, war das keine Überraschung, sondern ein Hinterhalt.
Sie bestand darauf, daß ich zu ihr nach Hause kommen sollte, während ich ein Café in der Nähe vorgeschlagen hatte. Ich gab nach, obwohl ich keinerlei Lust hatte, einen verbiesterten alten Mann zu treffen. So begann unsere Geschichte, die sich dann gemäß der zwei Prinzipien, die sich bereits während unserer ersten Konfrontation herausbildeten, entwickelte – erstens: Du kannst sie nicht überraschen, und zweitens: Du wirst immer nachgeben!
Ich überließ ihr die Initiative, und Maria behielt sie, womit ich nicht gerechnet hatte; ich wußte nicht, daß die erste halbe Stunde in einer Liebesgeschichte die wichtigste ist, ich wußte damals nichts von der Liebe, ich war kein guter Taktiker; niemand, der sich danach sehnt, so verliebt zu sein, wie ich es tat, kann ein guter Taktiker sein.
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