Der falsche Überlebende by Javier Cercas

Der falsche Überlebende by Javier Cercas

Autor:Javier Cercas [Cercas, Javier]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783104036014
Herausgeber: FISCHER E-Books
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


Dass die CNT sich selbst zerstörte, lag nicht an ihren inneren Widersprüchen, sondern an den Fehlern, die sie beging und die dazu führten, dass ihre inneren Widersprüche unlösbar wurden. Der erste und womöglich größte Fehler war eine Fehleinschätzung. In ihrer Begeisterung über die rasante Entwicklung der Gewerkschaft machten die jungen Anarchosyndikalisten, die Marco unterstützten, den Vorschlag, einen Kongress zu veranstalten, auf dem die gesamte Organisation neu bestimmt und ihre teilweise anachronistischen und ineffizienten Vorgehensweisen bereinigt und an die neue Zeit angepasst werden sollten. Eine sehr vernünftige Idee, vor allem, wenn man bedenkt, dass der letzte derartige Kongress 1936 stattgefunden hatte. Die jungen Anarchosyndikalisten waren jedoch so unbedacht – um nicht zu sagen naiv –, auch eine Untersuchung der Rolle der CNT-Führung im Exil während der vierzig Jahre des Franquismus auf die Tagesordnung des geplanten Kongresses zu setzen, und hatten Federica Montseny persönlich aufgefordert, einen Bericht über die Zeit im Exil zu verfassen. Marco und seine Freunde hatten allerdings nicht bedacht, dass die alten Exilanten den Vorschlag als einen Ausdruck mangelnden Respekts beziehungsweise eine Drohung beziehungsweise Beleidigung seitens dieser undankbaren Jungspunde auffassen würden, die, nachdem sie, die Alten, in den langen Jahren brutaler Unterdrückung durch die Diktatur heldenhaft die Fahne des Anarchismus emporgehalten hatten, auf einmal daherkamen, um Rechenschaft zu fordern. Dieses ungeschickte Vorgehen bereitete im Herzen der Organisation einen Sturm der Empörung vor. Endgültig auslösen sollte diesen Sturm jedoch die Scala-Affäre.

Diese wiederum begann am 15. Januar 1978, als Marco noch Generalsekretär der CNT in Katalonien war. Damals hatte die CNT in Barcelona zu einer Demonstration gegen den sogenannten Moncloa-Pakt aufgerufen, eine Vereinbarung, die die Regierung von Adolfo Suárez drei Monate zuvor mit den wichtigsten politischen Parteien, Gewerkschaften und Unternehmerverbänden getroffen hatte. Der Pakt zielte auf eine Befriedung des gesellschaftlichen Lebens und Stabilisierung des Übergangs von der Diktatur zur Demokratie ab. Die Demonstration war ein Erfolg, schließlich nahmen etwa zehntausend Menschen daran teil. Gegen Mittag jedoch, als Marco selbst die Veranstaltung auf der Plaza de España für beendet erklärt und die Menge sich aufgelöst hatte, explodierten in einem Tanzlokal mit Namen Scala vier selbstgebastelte Molotowcocktails. Bei dem dadurch ausgelösten Brand starben vier Arbeiter. Obwohl zwei von ihnen CNT-Mitglieder waren, wurde sofort die Gewerkschaft oder deren Umfeld der Urheberschaft des Anschlags verdächtigt. Gleichzeitig wurde – wenigstens vonseiten der CNT selbst – der Vorwurf erhoben, es steckten Leute aus den Reihen der Polizei dahinter, die auf Anweisung der Regierung handelten und die Absicht verfolgten, die einzige bedeutende Gewerkschaft in Misskredit zu bringen, die sich der aktuellen politischen Entwicklung entgegenstellte, weil sie der Ansicht war, diese laufe den Interessen der Arbeiter zuwider. Obwohl beide Vorwürfe einander widersprachen, wurden beide zuletzt bestätigt. Im Dezember 1980 verurteilte ein Gericht sechs der CNT nahestehende Personen wegen des Scala-Anschlags, zwei Jahre später jedoch wurde in derselben Sache zusätzlich ein Polizeispitzel mit Namen Joaquín Gambín als Anstifter und Organisator verurteilt. Zweifellos war der Regierung daran gelegen, die CNT nicht nur in Misskredit zu bringen, sondern wenn möglich ganz zu erledigen. Keinesfalls ausschließen lässt sich aber auch, dass die am



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.