Der blinde Hellseher by Wolf Stefan

Der blinde Hellseher by Wolf Stefan

Autor:Wolf, Stefan [Wolf, Stefan]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


„Au!“ machte Klößchen.

„Deutsche Eiche!“ grinste Karl. „Die ist auch manchmal hohl.“

„Dein Kopf klingt nicht besser“, meinte Klößchen und boxte Karl auf den Oberarm. Aber es war nicht ernst gemeint.

Karl hielt mit einer Hand seine Brille fest. Mit der anderen boxte er zurück.

„Hört auf mit der Prügelei!“ befahl Gaby. „Hier geht’s um ein ernstes Problem.“

„Und dein Einwand ist berechtigt“, sagte Karl zu Tarzan. „Auch lebende Personen können aus einem Medium sprechen. Deshalb werden manchmal Hellseher oder ein Medium zu Hilfe genommen, wenn die Polizei nicht weiterkommt. Bei vermißten Kindern, bei Entführungen und so... Weil Hellseher und ein Medium mit ihren besonderen Kräften vielleicht mehr erreichen. Dabei geht’s natürlich um lebende Personen.“

Tarzan nickte. „Jetzt kriegt das Ganze einen Sinn. Frau Krause erhofft sich von Raimondo und Amanda einen Hinweis auf Volker.“

„Auf sein Versteck“, warf Gaby ein.

„Wäre ja toll“, murmelte Klößchen, „wenn Amanda heute abend sagt: Ich, Volker Krause, zur Zeit in den Händen rücksichtsloser Kidnapper, befinde mich gefesselt und geknebelt in Bahnhofstraße 137, Hinterhaus, vierter Stock rechts, Zimmer zwei. Bitte zweimal klingeln, sonst macht niemand auf.“

Klößchen holte tief Luft und wollte seinen Ulk noch weiter treiben, wurde aber von Tarzan unterbrochen.

„Ich finde, über Volkers Lage sind Witze nicht angebracht. Er ist arm dran.“

„Hast eigentlich recht“, murmelte Klößchen und war für einen Moment sehr beschämt.

Dann klingelte es. Die Pause war beendet. Hunderte von Schülern — und wesentlich weniger Schülerinnen —, über den Hof und Park in Grüppchen verteilt, strömten jetzt zum Haupthaus. Und zum sogenannten GELBEN HAUS, einem Flachbau mit acht Klassenräumen, dem Physiksaal und der Aula, die immerhin 1200 Personen faßt — was selbst für einen Festsaal eine ganze Menge ist.

Die Schüler der Unterstufe hatten es eilig, die der Oberstufe ließen sich Zeit. Einige rauchten erst ihre Zigaretten zu Ende, denn wer über 18 war, durfte im Hof rauchen.

Wer zur Mittelstufe gehörte — wie die vier Freunde — bewegte sich durchaus nicht in mittlerem Tempo, sondern je nach Temperament. Klößchen, zum Beispiel, wäre ohne den Antrieb durch Tarzan regelmäßig zu spät gekommen. Gaby nie. Sie war korrekt und haßte sowas. Tarzan und Karl entschieden sich von Fall zu Fall. Denn selbstverständlich gibt es in jeder Schule Lehrer, von deren Unterricht man keine Minute verpassen möchte, und andere, denen man am liebsten gar nicht begegnet.

Zu den letzteren gehörte Fräulein Klamm.

Ihr Spitzname war „Giftnudel“, was genug besagt. Manche nannten sie auch „Giftkröte“, heimlich natürlich.

Leider hatte sie sich die Namen redlich verdient, und es war nicht übertriebene Boshaftigkeit der Schüler, daß sie so hieß. Im Grunde hatte die Studien-Assessorin Claudia Klamm ihren Beruf verfehlt.

Sie war 29 oder 30 Jahre alt, ziemlich groß, knochig, daß einem Angst werden konnte, und gebaut wie ein Maulesel. Mit schlampiger Kleidung verstärkte sie den Eindruck noch. Sie trug eine Brille mit schwarzem Horngestell und enorm dicken Gläsern. Das fast farblose Haar hing ihr lang und zottelig auf die Schultern, und es sah aus wie mit der Gartenschere geschnitten.

Für ihre Unansehnlichkeit konnte sie natürlich nichts. Das war Pech und eine Gemeinheit der Natur. Aber nicht jeder, der unansehnlich ist, muß deswegen zur Giftnudel werden.



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