Der beste Roman des Jahres (German Edition) by St Aubyn Edward

Autor:St Aubyn, Edward [St Aubyn, Edward]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Piper ebooks
veröffentlicht: 2014-08-31T22:00:00+00:00

21

Malcolm hatte darauf bestanden, dass Tobias an der Sitzung teilnahm, auf der über die Shortlist entschieden würde, und als er kam, war er der Gegenstand großer Neugierde, und zwar nicht nur wegen seines erstmaligen Erscheinens, sondern auch wegen seines unverschämt guten Aussehens, das bei den drei weiblichen Jury-Mitgliedern sofortige Wirkung zeitigte. Sein langes Haar, sein langer Schal und sein langer Mantel betonten seine Körpergröße, was zur Folge hatte, dass sich Malcolm klein und korpulent vorkam und eine gewisse Eifersucht empfand. Er war entschlossen, diese Gefühle hinter einer demonstrativ zur Schau getragenen Herzlichkeit zu verbergen, denn er wollte auf Tobias’ Stimme ebenso zählen können wie auf die von Penny.

Nachdem sich alle einander vorgestellt und begrüßt hatten, startete die Sitzung mit einer überraschend verbitterten Debatte, in der Vanessa sofort zum Angriff überging, und zwar mit der lächerlichen Behauptung, dass es sich beim Palast-Kochbuch gar nicht um einen Roman handele. Zwar war Malcolm noch nicht dazu gekommen, das Buch zu lesen, aber er wusste, dass ein altehrwürdiger Verlag wie Page & Turner niemals einen Text einreichen würde, der kein Roman war, und auch Jo durfte man wohl zutrauen, dass sie ein Kochbuch von einem Roman unterscheiden konnte. Wie sich herausstellte, fand Jo mit ihrer Antwort dann auch auf eindrucksvolle Weise den richtigen Ton.

»Es überrascht mich, dass du die Qualitäten nicht erkennst«, sagte sie zu Vanessa. »Du behauptest, du seist Expertin für Gegenwartsliteratur, und dann wirst du mit einem spielerischen, postmodernen, multimedialen Meisterwerk konfrontiert und leugnest ganz naiv, dass es sich dabei überhaupt um einen Roman handelt.«

»Das ist kein Roman«, sagte Vanessa, »das ist ein Kochbuch. Der Titel lautet Das Palast-Kochbuch, weil es ein Kochbuch ist.« Sie grummelte kindlich-wütend vor sich hin.

»Erzählt wird die Geschichte einer Familie«, sagte Jo, die in der Hitze des Gefechts bewundernswert ruhig blieb. »Was gibt es Universelleres als die Sprache des Essens?«

»Inuit, Katalanisch, Gälisch, jede verfickte Sprache«, sagte Vanessa, »weil Essen keine Sprache ist, sondern etwas, das man sich in den Mund steckt.«

»Kein Grund, so loszupoltern«, sagte Penny. Sie hatte die Nase voll von Vanessas ausfälligen Fluchereien.

»Im Gegenteil«, sagte Vanessa, »mir bleibt keine andere Wahl, weil ich hier mit Leuten rede, die sich vernünftigen Argumenten verschließen und die keine Ahnung haben von Literatur.«

»Ich liebe das Hühnercurry mit Limone und Kardamom«, sagte Tobias, und sein lässiger Charme hatte eine entwaffnende Wirkung auf die streitenden Amazonen. Unter seinem Mantel, den er auf der Fensterbank abgelegt hatte, trug er ein verwaschenes lila T-Shirt, ausgefranste Jeans und zerschundene Cowboystiefel.

»Na also, sage ich doch«, sagte Jo. »Es ist wichtig, dass das Buch auf einer realistischen Ebene funktioniert, während gleichzeitig die kühnste metafiktionale Performance unserer Tage über die Bühne geht.«

Malcolm, den die besänftigende Wirkung irritierte, die der Schauspieler auf die Frauen ausübte, fragte in etwas zu scharfem Ton, welche Bücher nach Tobias’ Meinung auf die Shortlist gehörten. Der Neuzugang lehnte sich zurück, strich sich die Haare aus der Stirn und blickte an die Decke, und dann begann er ohne Vorwarnung – abgesehen von der Tatsache, dass er sich wieder aufrecht hinsetzte – mit ausladender Geste und voller, sanfter Stimme zu rezitieren.

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