Der Zusammenbruch by Emile Zola
Autor:Emile Zola [Zola, Emile]
Format: mobi, epub
Tags: Roman
Herausgeber: TUX
veröffentlicht: 2010-02-19T23:00:00+00:00
6.
Delaherche wurde schließlich auf der hohen Plattform, die er erstiegen hatte, um sich Rechenschaft über die Sachlage zu geben, abermals von Ungeduld nach neuen Nachrichten gepackt. Wohl sah er, daß die Granaten über die Stadt wegflogen und daß die drei oder vier, die die Dächer der benachbarten Häuser durchschlagen hatten nichts weiter als eine spärliche Beantwortung des langsamen und unwirksamen Feuers vom Fort Pfalz her waren. Aber von der Schlacht selbst konnte er nichts erkennen – und wieder stieg in ihm die Sucht nach sofortiger Gewißheit auf und wurde von der Furcht, in dem kommenden Unglück Habe und Leben zu verlieren, noch aufgepeitscht. Er ging also wieder hinunter und ließ sein auf die deutschen Batterien gerichtetes Fernrohr oben stehen.
Unten hielt ihn indessen der Anblick des Mittelgartens der Fabrik noch einen Augenblick fest. Es war nahezu ein Uhr, und das Lazarett füllte sich mit Verwundeten. Die Wagenreihe unter dem Torwege riß gar nicht mehr ab. Bereits begann es an zwei- und vierräderigem Militärfuhrwerk zu fehlen. Artilleriefuhrwerk trat in die Erscheinung, Proviant- und Vorratswagen, alles was nur auf dem Schlachtfelde aufzutreiben war; schließlich kamen sogar Halbkutschen und Bauernfuhrwerk, das auf den Höfen beschlagnahmt und mit umherirrenden Pferden bespannt war. Und in all diesen sammelten sich nun die in den fliegenden Verbandplätzen mit Notverbänden versehenen Verwundeten an. Das Abladen der armen Leute war gräßlich; einige sahen blaßgrün aus, andere dunkelblau vor Blutandrang; viele waren ohnmächtig, andere schrien laut; manche überließen sich den Krankenträgern ganz starr mit vor Furcht weit aufgerissenen Augen, während andere schon bei der bloßen, durch das Anfassen verursachten Erschütterung ihren Geist aufgaben. Der Andrang wurde derartig, daß bereits alle Matratzen in dem großen Saale belegt waren und Stabsarzt Bouroche Befehl gab, nun die von ihm an einem Ende des Saales angelegte große Strohhütte in Benutzung zu nehmen. Für die Operationen genügten er und seine Gehilfen noch einstweilen. Er hatte sich damit begnügt, sich unter dem Schuppen, in dem er seine Operationen vornahm, einen zweiten mit einer Matratze und Wachstuch bedeckten Tisch hinstellen zu lassen. Ein Hilfsarzt hielt den Verwundeten schnell ein mit Chloroform getränktes Tuch unter die Nase. Die feinen Stahlmesserchen leuchteten, die Sägen ließen nur ein leises, raspelndes Geräusch hören, Blut spritzte plötzlich in Strahlen hoch empor, um aber sofort wieder gestillt zu werden. Die Operierten wurden in raschem Hin und Her ab- und zugetragen, und es blieb kaum Zeit übrig, das Wachstuch mit einem Schwamm abzuwischen. Hinter einer Gruppe von Goldregen am Ende des Rasens hatte eine Art Beinhaus eingerichtet werden müssen, in dem man sich der Toten entledigte, und hier wurden auch die Arme und Beine mit allen andern auf den Tischen zurückbleibenden Fleisch- und Knochenresten hingeworfen.
Am Fuße eines der großen Bäume wurden Frau Delaherche und Gilberte mit dem Aufwickeln ihrer Binden gar nicht mehr fertig. Bouroche kam mit heißem Gesicht und ganz roter Schürze vorbei und warf auch Delaherche einen Packen Leinen zu:
»Da! tun Sie auch was, machen Sie, sich nützlich!«
Aber der Fabrikant erhob Einspruch.
»Verzeihung! Ich muß wieder auf Erkundigungen ausgehen. Man weiß ja überhaupt nicht mehr, ob man noch lebt.
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