Der Weg nach Wigan Pier (German Edition) by Orwell George

Autor:Orwell, George [Orwell, George]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Neue Literatur
ISBN: 9783257602517
Herausgeber: Diogenes Verlag AG
veröffentlicht: 2015-01-21T05:00:00+00:00

IX

Mit vierzehn oder fünfzehn Jahren war ich ein widerlicher kleiner Snob, aber kein bißchen schlimmer als andere Jungen meines Alters und meiner Gesellschaftsschicht. Vermutlich gibt es keinen Ort auf der Welt, an dem der Snobismus so allgegenwärtig ist oder an dem er in so raffinierter und subtiler Form kultiviert wird wie in den englischen Privatschulen. Hier zumindest kann man nicht sagen, die englische Erziehung erfülle ihre Aufgabe nicht. Man vergißt sein Latein und Griechisch in den ersten paar Monaten nach der Schulzeit – ich lernte acht oder zehn Jahre Griechisch, und jetzt, mit dreiunddreißig Jahren, kann ich nicht einmal mehr das griechische Alphabet hersagen –, aber der Snobismus haftet an einem bis ans Grab, wenn man ihn nicht hartnäckig ausrottet wie das Unkraut, das er ist.

In der Schule war ich in einer schwierigen Position, unter Jungen, die größtenteils viel reicher waren als ich, und in die teure Knabenschule ging ich nur, weil ich zufällig ein Stipendium gewonnen hatte. Das ist die übliche Erfahrung von Jungen aus dem unteren oberen Mittelstand, der Söhne von Pfarrern, angloindischen Beamten etc.; und die Auswirkungen auf mich waren wahrscheinlich auch die üblichen. Einerseits ließ sie mich fester denn je an meiner Vornehmheit festhalten, andererseits erfüllte sie mich mit einem Ressentiment gegenüber den Jungen, deren Eltern reicher waren als meine und die sich Mühe gaben, es mich wissen zu lassen. Ich verachtete jeden, der nicht als »Gentleman« bezeichnet werden konnte, aber ich haßte auch die raffgierig Reichen, besonders die, die erst vor zu kurzer Zeit reich geworden waren. Ich hatte das Gefühl, die richtige und elegante Lösung bestehe darin, von hoher Geburt zu sein, aber kein Geld zu haben. Das gehört zum Credo der unteren oberen Mittelklasse. Es hat etwas von einem Jakobit-im-Exil-Gefühl an sich, das sehr tröstlich ist.

Aber diese Jahre während oder kurz nach dem Krieg waren eine eigenartige Zeit, in die Schule zu gehen, denn England war näher an einer Revolution als je während des ganzen letzten Jahrhunderts. Eine Welle revolutionären Gefühls, die inzwischen umgekehrt und vergessen ist, aber verschiedene Ablagerungen zurückgelassen hat, ging durch fast die ganze Nation. Im Grunde war es, obwohl man es damals natürlich nicht in der richtigen Perspektive sehen konnte, eine Revolte der Jugend gegen das Alter, eine direkte Folge des Kriegs. Im Krieg waren die Jungen geopfert worden, und die Alten hatten sich in einer Weise verhalten, die sich auch noch aus heutiger Distanz schrecklich ausnimmt; sie waren feste Patrioten an sicheren Orten gewesen, während ihre Söhne vor den deutschen Maschinengewehren wie Heuschwaden fielen. Außerdem war der Krieg hauptsächlich von alten Männern angeführt worden, und zwar mit erhabenster Unfähigkeit. 1918 war jedermann unter vierzig schlecht auf die Älteren zu sprechen, und die antimilitaristische Stimmung, die natürlicherweise den Kämpfen folgte, weitete sich zu einer allgemeinen Revolte gegen Orthodoxie und Autorität aus. Zu dieser Zeit gab es unter den jungen Leuten einen seltsamen Kult des Hasses auf »alte Männer«. Die Dominanz »alter Männer« wurde für jedes der Menschheit bekannte Übel verantwortlich gemacht, und jede anerkannte Institution, von Scotts Romanen bis zum Oberhaus, wurde verspottet, nur weil sie bei »alten Männern« in Gunst stand.

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