Der Verfolger by Katzenbach John

Der Verfolger by Katzenbach John

Autor:Katzenbach, John [Katzenbach, John]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Psychothriller
Herausgeber: Droemer
veröffentlicht: 2018-04-15T22:00:00+00:00


TEIL II

DIE WILLKOMMENEN BESUCHER

»T’was in another lifetime,

One of toil and blood,

When blackness was a virtue,

The road was full of mud,

I came in from the wilderness,

A creature void of form.

Come in, she said,

I’ll give you shelter from the storm.«

Bob Dylan: »Shelter From the Storm«, 1975

Verbal Kint: »Der größte Trick, den der Teufel je gebracht hat, war,

die Welt glauben zu lassen, es gebe ihn gar nicht.«

Die üblichen Verdächtigen, 1995

26

Alles in Ricky schrie: Tu was!

Er rührte sich nicht.

Er hat mich getroffen.

Ich sterbe.

Ich bin schon tot.

Er war nichts dergleichen, was ihn nur noch mehr verwirrte.

Wo bleiben die Schmerzen?

Wo bleibt das Blut?

Einen Moment lang hatte Ricky das Gefühl, seinen Körper zu verlassen und von irgendwo oben zuzusehen, wie sein tödlich verwundeter Doppelgänger in Zeitlupe zu Boden sackte, mit zerfetztem Herzen nach Luft schnappte und sich vergeblich ans Leben klammerte. Und dann kehrte er unter einem kratzenden Geräusch – wie von einer Nadel, die über eine alte Schallplatte ratscht – in seinen Körper zurück und begriff, dass er immer noch Leben in sich hatte. Es kam ihm vor, als würde er heiße Asche einatmen. Seine Muskeln zuckten krampfartig, dennoch wich er keinen Millimeter zurück. Es toste ihm in den Ohren, als stünde er neben einem Düsentriebwerk. Ich bin noch am Leben.

Aber vielleicht nicht mehr lange.

Dann ging alles ganz schnell. Ein Durcheinander aus Geräuschen, Verwirrung, Aufruhr in dem Zimmer, nachdem der Schuss verhallt war.

Die Tochter stieß einen Laut aus – halb Schrei, halb Schluchzen, ohne den Versuch, Worte zu artikulieren, spontaner Ausdruck der Konfusion. Der todkranke Lehrer sank noch tiefer in seine Kissen, als habe das Betätigen des Abzugs wie das Heben von Hanteln jeden seiner Muskeln überspannt. Er schnappte nach Luft, dann fiel die Hand mit der Waffe schlaff herab. Und endlich sprang Ricky auf, mit einem so heftigen Ruck, dass er den Stahlrohrstuhl scheppernd umwarf. Auch er stieß einen kehligen Schrei aus, wie ein von dem plötzlichen Knall zu Tode erschrecktes Tier. Doch als er sich zur Tür wandte, um die Flucht zu ergreifen, wurde es merklich still. Die Logik warnte ihn, dass der sterbende Lehrer möglicherweise noch einen Funken Leben in sich fand, um mit seiner Pistole einen zweiten Schuss abzufeuern, diesmal tödlich für ihn. Zwei Mal wird er nicht danebenschießen, dachte Ricky, während ihm im selben Moment die Frage kam: Wie konnte er mich beim ersten Mal verfehlen?

Unsicherheit. Krankheit. Mangelnde Erfahrung.

Also: Wehr dich!

Im Geiste sah er, wie er sich auf den Lehrer stürzte und ihm die Waffe entriss. Dabei musste er jede Sekunde damit rechnen, dass die Tochter, um ihren Vater zu verteidigen, den .357er heben und ihm damit in den Rücken schießen würde. Er hatte einen verzweifelten Kampf vor Augen, zwischen dem vom Krebs gemarterten Lehrer, dem in Panik geratenen Mädchen und sich selbst – ein Wirrwarr aus Kreischen, Handgemenge, Schlägen und Schüssen, bei dem der Tod geduldig zusieht, vielleicht auch eine Wette eingeht, wer am Ende übrig bleibt.

Doch so kam es nicht.

Er blieb. Es kostete ihn die letzten Reserven an Entschlusskraft und Vernunft, abzuwarten, statt wegzurennen. Die Panik, die ihn in ihrem Sog mitzuzerren drohte, schrie danach, etwas zu unternehmen.



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