Der Tod des Chiemseemalers by Gretel Mayer

Der Tod des Chiemseemalers by Gretel Mayer

Autor:Gretel Mayer
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783960414063
Herausgeber: emons Verlag


IM NEBEL RUHET NOCH DIE WELT

Benedikt schreckte hoch und blickte einen Moment verwirrt um sich. In der schlechten Luft der ungemütlichen Wachstube musste er wohl kurz eingenickt sein. Er blickte zur Zelle und sah den Bergleitner dort sitzen, der wesentlich ruhiger und gefasster wirkte als zuvor.

»Wie geht’s denn weiter, ich komm einfach nicht drauf«, murmelte dieser vor sich hin. »›Im Nebel ruhet noch die Welt, noch träumen Wald und Wiesen …‹«

»›… bald siehst du, wenn der Schleier fällt, den blauen Himmel unverstellt‹«, ergänzte Benedikt unaufgefordert, und Fritz Bergleitner endete erleichtert: »›… herbstkräftig die gedämpfte Welt in warmem Golde fließen.‹ Eduard Mörike. Von einem meiner ersten Löhne hab ich mir seine Gedichte gekauft.«

Professor Adumeit, der mittlerweile emeritierte Professor für Kriminalistik und Verbrechensforschung, hätte sich wohl bei dieser vorrangig literarisch und lyrisch geprägten Unterhaltung eines Oberkommissärs mit seinem Verdächtigen etwas gewundert. Das tat auch der Fanderl, der pflichtbewusst kam, um seinen Chef abzulösen, und gerade noch hörte, wie der Bergleitner dem Benedikt von einem gewissen Graf vorschwärmte, den er unbedingt lesen müsse.

Fanderl räusperte sich diskret.

»Jetzt müssen wir dich aber vernehmen, Fritz, und dass dir zudem eine Anzeige wegen Polizistenbeleidigung und tätlichem Angriff auf die Staatsgewalt droht, ist dir ja wohl klar.«

Bergleitner nickte beim Anblick von Fanderls geplatzter Lippe und blauem Auge schuldbewusst und entschuldigte sich in aller Form.

»Seit damals hab ich eine schreckliche Angst vor dem Eingesperrtsein«, erklärte er, wobei er auf das »damals« nicht weiter einging. »Ich hab mich geschlagen mit ihm, das stimmt, aber umgebracht, nein, umgebracht hab ich ihn nicht.«

Nach der Wirtshausschlägerei sei er gleich nach Hause, das sei so um ein Uhr gewesen. Er habe nicht schlafen können, und so habe er schon im Morgengrauen angefangen, sein Holz zu spalten. Das beruhige ihn immer sehr.

»Politisch seid ihr ja wie Feuer und Wasser gewesen«, meinte der Fanderl, »da gehören ein paar kräftige Beleidigungen doch dazu. Was hat dich denn dann so auf die Palme gebracht?«

»Da will ich nicht drüber sprechen«, meinte Bergleitner, und sein Gesicht verschloss sich.

Benedikt glaubte sich zu erinnern, dass der Wirt etwas von »warmem Bruder« oder »schwuler Sau« gesagt hatte. Soweit er wusste, war der Fritz Bergleitner unverheiratet und hatte in München seinerzeit für einige Jahre mit einem Zimmermann aus Bremen zusammengelebt.

Nachdem Bergleitner ausgesagt hatte, rief der Fanderl: »Bin gleich wieder da«, und verschwand rasch in der Abenddämmerung.

So fanden Benedikt und Fritz noch einmal Zeit, ihr Gespräch über Literatur fortzusetzen, und diesmal empfahl Benedikt dem Fritz wärmstens den Lion Feuchtwanger, der einer seiner Lieblingsschriftsteller war.

Kurze Zeit später erschien der Fanderl wieder und hatte die unwillig vor sich hin schimpfende Michelbergerin im Schlepptau. Er platzierte die alte Frau auf einen Stuhl vor dem Schreibtisch und sagte streng: »Erzähl uns, was du weißt, Michelbergerin. Bei Aussageverweigerung in solch einem wichtigen Fall wirst du eingesperrt, das kannst du mir glauben.«

Die Michelbergerin stellte ihr Keifen ein und brummelte: »Jaja, ich sag ja schon alles.« Dann berichtete sie, dass sie als die nächste Nachbarin des Bergleitner bezeugen könne, dass er in der besagten Nacht gegen ein Uhr, »kurz nachdem d’ Glockn



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