Der Titel ist die halbe Miete by Martenstein Harald

Der Titel ist die halbe Miete by Martenstein Harald

Autor:Martenstein, Harald [Martenstein, Harald]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Verlagsgruppe Random House
veröffentlicht: 2015-01-25T23:00:00+00:00


Über den Magazinjournalismus

Der Chef des Ressorts Leben fragte mich im Jahre 2002: »Kannst du uns eine heitere kleine Kolumne schreiben, mein Bester?« Ich sagte: »Gib mir 3500 Zeichen, und ich schreibe euch eine Kolumne, die so geil ist, dass die läufigen Hunde die ZEIT aus den Briefkästen stehlen, und so heiß, dass man drauf Spiegeleier braten kann. Der Kolumnist Hacke in der Süddeutschen hat 4500, Max Goldt in der Titanic hat noch mehr, aber mit nur 3500 mickrigen Zeichen schreibe ich trotzdem eine der besten Kolumnen Deutschlands. Versprochen.«

Zwei Tage später rief der Chef wieder an. »Die Artdirektoren meinen, dass nur 3300 Zeichen machbar sind.« Ich sagte: »Mit 3300 wird die Kolumne nicht ganz so gut sein, aber immer noch relativ subtil, eine der besseren in Deutschland.«

Am Tag vor der ersten Kolumne rief der Chef wieder an. »Die Artdirektoren sagen, die Überschrift muss größer werden. Weißt du, Leser wollen große Überschriften. Du kriegst nur 3150 Zeichen.« Ich dachte, 3150, das wird eine passable Kolumne. Schnell! Schnörkellos! Von 2002 bis 2005 schrieb ich jede Woche 3150 Zeichen.

Im Jahre 2005 rief eine Redakteurin an, so ein junges Ding. Wann ich Zombie endlich merken würde, dass die Kolumne seit Wochen nur noch 3050 Zeichen hat, sie hätte keine Lust mehr zu kürzen. Die Artdirektoren hätten beschlossen, dass die Kolumne luftiger gesetzt sein muss. Leser wollten Luft in den Artikeln, das wisse jeder.

Von 2005 bis 2007 schrieb ich jede Woche 3050 Zeichen. Die Kolumne wurde in Phase zwei ein bisschen unsubtiler, eine Spur eindimensionaler, aber das habe ich mit den üblichen Tricks vertuscht.

Dann hieß es, das ZEITmagazin kommt wieder. Ich wurde gerufen, mir saßen zwei Artdirektoren gegenüber, ein Typ und eine Frau. Die Frau sagte: »Mit 2400 Zeichen bist du noch gut bedient, Väterchen.« Der Typ betrachtete seine Fingernägel und sagte: »Das sind die Gesetze des Magazinjournalismus, mein Bester. Leser wollen Bilder, Freiraum, Illustrationen.« Ich sagte: »Morgen gehe ich in eine Fotoausstellung und fange an, die Fotos mit dem Filzstift zu überschreiben. Fotoausstellungsbesucher wollen Texte lesen, weißt du.« Die Artdirektoren haben nicht begriffen, worauf ich anspielte. Der Chef sagte: »Na gut, gebt ihm 2800.«

Wenn ich König von Deutschland wäre, würde ich den Beruf Artdirektor verbieten. Die vorhandenen Artdirektoren würden zu Friseuren oder Schlauchbootverleihern umgeschult, da dürften sie den ganzen Tag abschneiden und mit Luft aufblasen. Der Artdirektor verhält sich zur Kunst des sich schriftlich Ausdrückens wie die Klimakatastrophe zu den Gletschern der Alpen. Subtiler kann ich das mit 2800 Zeichen leider nicht ausdrücken. Dies ist nämlich Phase drei.*

* Einige Wochen nach der Veröffentlichung dieses Textes wurde die Kolumne auf 3500 Zeichen verlängert.



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