Der Teufel von Köpenick by Horst Bosetzky

Der Teufel von Köpenick by Horst Bosetzky

Autor:Horst Bosetzky [Bosetzky, Horst]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Jaron Verlag GmbH
veröffentlicht: 2017-04-04T16:00:00+00:00


Zehn

1943

Ulrich Kuhlmey hatte weder von Heinz Franzke noch von Bruno Lüdke gehört, als er am 1. Juli 1943 zum Dienstantritt im Polizeipräsidium am Alexanderplatz erschien, und er ahnte nicht im Geringsten, dass er für die beiden eine Art intervenierende Variable werden sollte, der Mann, der durch sein Handeln das Schicksal beider entscheiden würde, insbesondere das von Franzke.

Seine Unkenntnis über die Berliner Frauenmorde und ihre Aufklärung durch Heinz Franzke rührte daher, dass Kuhlmey sich lange Zeit um nichts gekümmert hatte, was außerhalb seines Krankensaals geschah. Im Juli 1942 hatte er bei der deutschen Sommeroffensive östlich von Kursk eine schwere Verwundung davongetragen. Kopfschuss. Viele Monate hatte er in verschiedenen Lazaretten gelegen, bis schließlich das eingetreten war, was die Ärzte kaum zu hoffen gewagt hatten: Teile des unbeschädigten Gehirns hatten die Funktionen der ausgefallenen Sektionen übernommen. Weithin jedenfalls. Geblieben waren Gedächtnislücken und unregelmäßig wiederkehrende epileptische Anfälle.

Jeder weitere Fronteinsatz sei ausgeschlossen, hatte der Militärarzt festgestellt. »Was haben Sie denn vor dem Krieg gemacht, Herr Oberleutnant?«

»Ich war Lehrer in Frankfurt an der Oder, Studienrat für Physik und Chemie, vertretungsweise auch Mathematik.«

»Sie können auf keinen Fall wieder unterrichten, das halten Sie nicht durch. Epileptische Anfälle während des Unterrichts, undenkbar! Und dann Ihre Stimme …«

Die war nach der Hirnverletzung ganz anders geworden als früher. Viel, viel höher.

»Sie brauchen eine ruhige Arbeit, bei der Sie überwiegend allein an einem Schreibtisch sitzen und immer wieder Pausen einlegen können. Ich werde mich mal umhören, ob sich für Sie nicht was finden lässt.«

So war Kuhlmey, gerade 33 Jahre alt geworden, im Polizeipräsidium am Alexanderplatz gelandet.

Werner Togotzes war darüber nicht sonderlich erfreut. Was sollte man mit solch einem Krüppel schon anfangen? »Dann setzen Sie sich erst mal hin, und studieren Sie die Akten, um sich einen Überblick darüber zu verschaffen, was hier bei uns so alles im Gange ist.«

Damit begann Ulrich Kuhlmey, die Rolle des deus ex machina zu spielen, die ihm die höheren Mächte beziehungsweise der Zufall im Drama um den »doofen Bruno« zugewiesen hatten.

Bruno Lüdke sollte er erst Wochen später persönlich kennenlernen, Heinz Franzke aber traf er bereits am Ende seiner ersten beiden Arbeitsstunden bei der Berliner Kriminalpolizei. Da war er zur Toilette geeilt und ans Pinkelbecken getreten. Das musste derart leise geschehen sein, dass die beiden Männer hinter ihm in den Kabinen gar nichts mitbekommen hatten.

»Hast du schon unseren Neuen gesehen?«, fragte der eine. »Was ist denn das für einer?«

»Ein Kerl wie ein Baum, aber eine fürchterliche Fistelstimme.«

»Auch noch ein warmer Bruder in unseren Reihen! So was gehört doch ins KZ!«

Kuhlmey schlüpfte schnell in die dritte der Kabinen, ließ aber die Tür einen Spaltbreit offen, um den Mann auszumachen, der das gesagt hatte. Dessen Gesicht prägte er sich ganz genau ein.

Bei der Zehn-Uhr-Besprechung sollte er dann erfahren, dass es sich um Heinz Franzke handelte. Jetzt wusste er, wen er zu hassen hatte, konnte aber andererseits auch rechtzeitig gegensteuern, um nicht als Schwuler abgestempelt zu werden. Also stellte er sich ein großformatiges Photo seiner Verlobten auf den Schreibtisch und prahlte in jedem Gespräch damit, wieder eine Neue ins Bett gelockt zu haben.



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