Der Teufel des Westens by Bernward Schneider

Autor:Bernward Schneider [Schneider, Bernward]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Gmeiner-Verlag
veröffentlicht: 2017-02-23T23:00:00+00:00

Rudolf und Doris Mantiss wohnten in einer großbürgerlichen Wohnung unweit der Charité, wo Doris in der Verwaltung des Krankenhauses arbeitete.

Die Eingangstür des eleganten Mietshauses war nicht verschlossen, und ich stieg mit einem Gefühl der Beklemmung im Magen die Treppenstufen bis ins dritte Stockwerk hinauf.

Oben betätigte ich den Türklopfer. Nach einer Weile hörte ich Schritte. Die Tür ging auf, und Doris erschien.

»Wenigstens bist du pünktlich«, sagte sie, bevor sie mich eintreten ließ und die Wohnungstür hinter mir schloss.

»Wie geht es euch?«, fragte ich, da ich nicht unhöflich sein wollte.

»Danke, gut«, erwiderte sie einsilbig und wies mit der Hand in das Innere der Wohnung. Langsam und gelassen, beinahe so, als wäre ich nicht vorhanden, schritt sie an mir vorbei.

Sie hatte noch immer eine gute Figur, etwas hager, genauso das Gesicht, aber alles in allem war sie auch mit Anfang vierzig eine attraktive Person.

Ich folgte ihr ins Wohnzimmer, wo der Kaffeetisch für drei Personen gedeckt war. Geblümte Kaffeegedecke, eine geblümte Kaffeekanne und eine geblümte Schale mit Keksen.

Der Mann mit dem gebräunten Gesicht, der am Tisch saß, blickte nur kurz zu mir her, um mich eintreten zu sehen. Da er nichts sagte und augenscheinlich keinen Wert darauf legte, dass ich ihn begrüßte, blieb ich ebenfalls still.

»Nimm Platz«, sagte Doris. »Ich nehme an, du möchtest einen Kaffee.«

»Ja, danke. Gern.«

Sie schenkte die Tassen voll, und ich setzte mich auf den von ihrem Gatten am weitesten entfernten freien Stuhl.

Mantiss war Ende fünfzig, hatte silbern schimmerndes Haar, markante, gut geschnittene Züge und kalte, stahlblaue Augen. Ein heller Anzug kleidete seine drahtige, hoch gewachsene Gestalt. Er war mindestens fünfzehn Jahre älter als Doris, aber der Altersunterschied zu ihr fiel äußerlich kaum ins Gewicht. Für ihn war es die zweite Ehe. Seine erste Frau war verstorben, die Kinder waren erwachsen. Früher war er ein hoher Offizier in der Reichswehr gewesen, aber er machte auch in Zivil keine schlechte Figur. Seit ein paar Jahren hatte er sich als Verfasser von okkulten Romanen, die im untergegangenen Atlantis spielten, einen Namen gemacht. Wahrscheinlich ahnte kaum einer seiner zahlreichen Leser, womit er sich noch so beschäftigte, wenn er gerade keine Bücher schrieb.

»Du hast Mut herzukommen«, sagte er nach einer Weile und wandte mir seine Aufmerksamkeit zu.

»Es ist mir nicht leichtgefallen.«

Er betrachtete mich mit seinen kalten, blauen Augen.

»Was willst du?«

»Ein klärendes Gespräch führen.«

Er nahm einen Schluck Kaffee. »Mach es zügig und verschwende nicht meine und deiner Schwester Zeit!«

»Wie du willst. Es geht um den Selbstmord eines russischen Diplomaten und dessen Folgen. Vielleicht habt ihr beide von dem Ereignis gehört?«

Mantiss blickte nicht mich, sondern seine Frau an.

»Ich habe in der Zeitung davon gelesen«, sagte Doris. »Jemand von der russischen Botschaft soll sich Mittwochabend im Grunewald erschossen haben.«

»Ich wusste nicht, dass es schon in der Zeitung stand«, sagte ich.

»Es stand gestern im ›Völkischen Beobachter‹«, erwiderte Doris. »Wahrscheinlich liest du ihn nicht.«

»Selten.«

»Heute Morgen sprach ich mit Wilhelm Santor und erfuhr von ihm, dass du in die Geschichte verwickelt bist«, sagte Rudolf Mantiss. »Der ›Völkische Beobachter‹ hatte Unrecht. Der Mann wurde nicht im Grunewald, sondern in der Wohnung einer Tänzerin erschossen, die mit dir befreundet ist.

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