Der Susan-Effekt by Peter Høeg
Autor:Peter Høeg
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Carl Hanser Verlag
veröffentlicht: 2015-01-01T00:00:00+00:00
32
Laban sitzt drauÃen auf der Bank. Er hat eine Wolldecke daraufgelegt und macht mir Platz, ich setze mich neben ihn, er breitet eine zweite Decke über uns. So haben wir schon oft dort gesessen.
Er zeigt zum Mond hinauf, er ist fast voll, rund um die leuchtende Scheibe sieht man ein opalenes Regenbogenphänomen, die Korona.
»Susan, was siehst du?«
»Refraktion, den überzähligen Bogen.«
Er nickt nachdenklich. Das ist ein altes Spiel von uns, das bis in die Zeit zurückgeht, als wir uns kennenlernten. Laban zeigt auf ein physikalisches Phänomen. Dann beschreiben wir, was wir sehen.
Wir haben noch nie das Gleiche gesehen.
»Ich sehe ein Gefühl. Des Schicksals. Der Unausweichlichkeit. In der Unausweichlichkeit steckt gleichzeitig Harmonie.«
Das kommentiere ich nicht. Was soll ich auch sagen? Schicksal und Harmonie mit einem Refraktionsphänomen zu korrelieren ist keine Vorgehensweise, die am Institut für Experimentalphysik Unterstützung erfahren würde.
»Wo war dein Vater eigentlich in der Zeit, von der du erzählt hast, Susan?«
»Er ist verreist, als ich acht war.«
»Und nie zurückgekommen?«
Ich nicke. Er nimmt sich Zeit, um das zu verdauen.
»Wieso hast du nie davon erzählt?«
Ich versuche, mich zu erinnern. Ich finde nicht, dass ich es direkt verheimlicht hätte. Ich habe nur vermieden, genau zu sein.
»Du würdest das nicht verstehen.«
»Gib mir die Chance, es wenigstens zu versuchen.«
Ich suche nach einer Erklärung, es kommt keine. Was kommt, ist ein Bild, eine Erinnerung.
»Zum letzten Mal habe ich ihn an einem Tag im Sommer gesehen. Er hatte eine Jagdhütte am Rand des Walds bei Rude, er liebte die Jagd, er hatte mehrere Hütten in Dänemark. Durch den Garten floss ein Bach, ich spielte mit Steinen, ich baute einen Kanal, um mit den Strömungsverhältnissen zu experimentieren. Da kam er zu mir. Er wollte mir was sagen, irgendwie ahnte ich, dass ich ihn jetzt zum letzten Mal sah. Er setzte sich. Ich konnte mich nicht überwinden, ihn anzusehen, also schaute ich auf die Wirbel im Wasser. Dann sagte er: »Susan, du musst versuchen, dass dein Biss genauso scharf wird wie dein Bellen.« Dann hat er mich ein letztes Mal umarmt. Ich spürte seine Verzweiflung, ich umarmte ihn, wie ein Erwachsener ein Kind umarmt. Dann stand er auf und ging.«
Laban hatte die Augen geschlossen, während ich sprach. Wie immer, wenn er intensiv zuhört. Dann macht er sie auf. Wir sehen zu den zweiundvierzig Bogengraden hinauf, von denen er nichts weiÃ, ja, nicht einmal gehört hat, dem Regenbogenwinkel und Alexanders dunklem Band, dem Feld zwischen den hellen Halbkreisen. Das Phänomen beginnt sich aufzulösen, in weniger als einer Minute ist es verschwunden.
Regenbogen sind flüchtig.
Wir sind wieder hineingegangen, ich habe Holz nachgelegt, wir haben uns aufs Sofa gesetzt.
Oskar sitzt drüben am Weihnachtsbaum und schaut träumend in sein Glas Bier, kleine Bläschen steigen an die Oberfläche, sie steigen in Fäden auf wie bei Champagner. Ich sehe ihn, und mir ist, als vergäÃe ich ihn gleich wieder. So ist es mit den Schiffbrüchigen. Wir haben alle ein lebenslanges Training darin, sie mit der Wandfarbe verschmelzen zu lassen.
Laban legt meinen einen Fuà auf seinen Schoà und streichelt ihn. Ich lasse es geschehen. Wenn die Welt ohnehin
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