Der Stundenzaehler by Mitch Albom

Der Stundenzaehler by Mitch Albom

Autor:Mitch Albom
Die sprache: deu
Format: mobi
ISBN: 3442479495
Herausgeber: Goldmann TB
veröffentlicht: 2013-06-01T22:00:00+00:00


45

Es war Wochenende, aber in Victors Büro herrschte rege Betriebsamkeit.

Ein Leitsatz seiner Unternehmen lautete: »Wenn du Samstag nicht auftauchst, brauchst du Sonntag gar nicht mehr zu kommen.«

Victor nickte einigen seiner Angestellten zu, als Roger ihn durch die Gänge schob. Roger – ein großer bleicher Mann mit Hängebacken – wich so gut wie nie von Victors Seite. Er war ein absolut loyaler Assistent, der nie eine Anweisung hinterfragte, und Victor entlohnte ihn entsprechend großzügig.

»Tag, meine Herren«, murmelte Victor, als Roger ihn in den Sitzungsraum schob, in dem fünf Anwälte um einen langen rechteckigen Tisch herumsaßen. Die Wintersonne stahl sich durch die Jalousien.

»So. Wie ist der Stand der Dinge?«, fragte Victor.

Einer der Anwälte schob einen Stapel Papiere beiseite und beugte sich vor.

»Es ist extrem kompliziert, Victor«, sagte er. »Wir können die Dokumente ja nur nach der aktuellen Rechtslage anfertigen.«

»Künftige Gesetze könnten sie ungültig machen«, ergänzte ein anderer.

»Man kann sich nicht gegen alles absichern«, brachte der dritte vor.

»Kommt darauf an, wie lange wir beraten«, bemerkte der erste.

»Normalerweise würde das Erbe Grace zufallen«, erklärte der vierte Anwalt.

Victor dachte erneut daran, dass Grace keine Ahnung von seinem Plan hatte, und er fühlte sich unbehaglich.

»Weiter«, sagte er.

»Aber wenn es so geregelt wird, bestimmt sie über alles. Und wenn sie verstirbt und es wieder Ihnen zufallen soll … tja, die Rechtslage ist unklar hinsichtlich eines Erbes, das jemand antreten soll, der … technisch betrachtet bereits …«

Alle blickten in die Runde.

»Tot ist?«, vollendete Victor den Satz.

Der vierte Anwalt zuckte die Achseln. »Ich halte es für besser, bereits jetzt Versicherungen abzuschließen und Fonds und zum Beispiel einen speziellen Trust zu gründen …«

»… einen Familientrust«, warf der erste Anwalt ein.

»Genau. Wie man ihn zum Beispiel für die Ausbildung eines Enkelkinds gründet. Auf diese Art kann das Geld Ihnen zur Verfügung stehen, wenn Sie … wie lautet der richtige Ausdruck?«

»Wiederbelebt?«

»Ja. Wenn Sie wiederbelebt werden.«

Victor nickte. Er dachte immer noch an Grace und überlegte, wie viel er ihr hinterlassen sollte. Sie hatte immer darauf beharrt, dass sie ihn nicht wegen seines Geldes geheiratet hatte. Aber was würde das für einen Eindruck machen, wenn er ihr kein üppiges Erbe vermachte?

»Mr. Delamonte«, meldete sich der dritte Anwalt zu Wort, »wann beabsichtigen Sie, die … ähem …«

Victor schnaubte. Er sah nicht ein, weshalb alle sich so schwertaten mit diesem Tod.

»Bis zum Jahresende sollte es wohl passiert sein«, antwortete er. »Wäre das nicht von Vorteil für uns?«

Die Anwälte sahen sich an.

»Es würde das Procedere vereinfachen«, sagte einer.

»Dann bereiten Sie bis Silvester alles vor.«

»Da bleibt uns aber nicht viel Zeit«, wandte einer aus der Runde ein.

Victor rollte zum Fenster und blickte über die Stadt.

»Richtig«, sagte er. »Ich habe ja auch nicht mehr viel Zeit …«

Er beugte sich vor und starrte verblüfft auf einen Wolkenkratzer gegenüber. Dort saß ein Mann am Rand des Dachs und ließ die Beine baumeln. Er hielt etwas in den Armen.

»Was ist los?«, fragte einer der Anwälte.

»Dort drüben sitzt irgendein lebensmüder Irrer«, antwortete Victor.

Dennoch konnte er den Blick nicht abwenden. Aber nicht, weil er sich um den Mann sorgte. Sondern, weil der direkt in Victors Fenster zu starren schien.



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