Der Sternsteinhof by Anzengruber Ludwig
Autor:Anzengruber, Ludwig
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: (Privatkopie)
veröffentlicht: 2010-02-03T05:00:00+00:00
Der Kleebinder Muckerl und die Zinshofer Helen waren von der Kanzel geworfen worden. Am darauffolgenden Nachmittage stieg die Dirne die breiten Stufen zur Kirche hinan, langsam, mit gesenktem Kopfe; oben angelangt, wandte sie sich nach links und schritt dem Pfarrhause zu. Dort stand sie eine Weile unschlüssig vor der Türe der Kanzleistube, dann pochte sie leise, auf den Zuruf von innen faßte sie mit unsicherer Hand an die Klinke und trat ein.
Hinter dem Schreibtische saß der Kaplan, den Kopf über einen mächtigen Folianten geneigt, sie sah nichts von ihm als seine großen Hände, mit denen er die Deckel des Buches umklammerte, und seine Schädeldecke mit dem struppigen Haar, in dessen Mitte ein kahler Fleck, die Tonsur, glänzte.
»Gelobt sei Jesus Christus«, sagte sie.
»In Ewigkeit!«
Ein Schwarm von Fliegen surrte an ihr vorüber. Sie wehrte einige ab und sah zu, wie sie sich jagten, zerstreuten und mählich an verschiedenen Stellen wieder zur Ruhe kamen; dann flüsterte sie: »Hochwürden ...«
»Was gibt's?« fragte der Geistliche, ohne aufzublicken.
»Ich bin d' Zinshofer Helen – die Braut –«
»Weiß es.«
»Da wär ich halt und tät gern beichten.«
»Jetzt gleich?«
»Wenn's sein kann und ich nit unglegen komm, Hochwürden, wär mir's lieber, jetzt gleich.«
Der Kaplan nickte, schob das Lineal als Lesezeichen zwischen die Blätter, klappte das Buch zu und erhob sich. Erst jetzt, wo er vor der Dirne stand, richtete er seine unsteten Augen auf sie, sie blickte ihn schüchtern an, da senkten beide die Wimpern und sahen, wie zuvor, nach der Diele.
Der Ton der Stimme klang rauh und die Rede unfreundlich, als der Kaplan sagte: »Geh Sie voraus in die Kirche, sammle Sie sich noch ein wenig, ich komme gleich nach.«
Als sie allein in die leere Kirche trat und selbst ihr leiser Tritt auf den Steinfliesen einen Hall weckte, der in den hohen Gewölben zitternd, wie klagend, erstarb, da blickte sie scheu um sich, atmete schwer auf und preßte beide Hände an das Herz.
Der junge Priester ging an ihr vorüber nach der Sakristei. Er legte sich selbst die Alba, das weiße Chorhemd, an, hing sich die Stola um und setzte das Käppchen auf, dann begab er sich in den Beichtstuhl; das Taschentuch in seiner Linken hielt er vor das Gesicht, mit der Rechten machte er das Zeichen des Kreuzes über die Dirne und neigte das Ohr seitwärts nach dem Gitter, hinter dem es nun zu wispern und zu flüstern begann. – –
Das Tuch ist ein notwendiges Requisit. Die Augen hält der Priester geschlossen, die verraten nichts, die untere Hälfte seines Gesichtes aber deckt das Tuch; gut, wenn es nichts zu verhüllen hat als etwa das Lächeln über naive Geständnisse kindlicher Seelen und nicht das starre Erstaunen, das jähe Erschrecken, den fröstelnden Ekel über ungeahnte Laster, Missetaten und Gemeinheiten.
Bei seinen bisherigen Beichtkindern hätte Kaplan Sederl allerdings des Tuches nicht bedurft. Man hatte ihm jene alten Frauenzimmer zugewiesen, die ihres chronischen Seelenleidens halber allwöchentlich in die Kirche gelaufen kamen und manchen wackern Priester ärgerten; ferner mußte er aushelfen, wenn man die Schulkinder zur österlichen Beichte führte. Die Sündenbekenntnisse, welche er zu hören bekam,
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