Der Sommer, in dem die Zeit stehenblieb by Tanya Stewner
Autor:Tanya Stewner [Stewner, Tanya]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783104010151
Herausgeber: FISCHER E-Books
veröffentlicht: 2014-11-13T23:00:00+00:00
12.
Innerhalb kürzester Zeit waren wir klatschnass, doch wir rannten einfach weiter durch den Regen, lachend, Händchen haltend, plötzlich so unbeschwert und glücklich, als gäbe es nur diesen Moment, diesen einen Moment, in dem alles andere gleichgültig war – dass wir aus unterschiedlichen Zeitepochen stammten, dass uns das Leben kosmische Rätsel aufgegeben hatte und dass wir keinen blassen Schimmer hatten, wie es weitergehen würde.
Um uns herum flohen die Menschen ins Trockene, denn der Sommerschauer hatte sich in einen richtigen Platzregen verwandelt. Anjano und ich schlängelten uns hindurch, sprangen kichernd wie Kinder über Pfützen hinweg und manchmal auch mitten hinein. Ich war noch nie so unbekümmert gewesen, hatte mich noch nie so leicht gefühlt. Am liebsten hätte ich geschrien vor Glück.
Ich war verliebt.
Ich spürte es ganz deutlich.
Mein Herz pochte jauchzend im Takt unserer Schritte und schlug stürmische Saltos, denn es hatte das gefunden, wonach alle Herzen suchten.
Anjano lachte, tanzte an meiner Seite und strahlte wie ein kleiner Stern, der sich auf die Erde verirrt hatte und nicht wieder in den Himmel zurückwollte, weil man da oben nicht durch Pfützen springen konnte.
Bis er plötzlich stehen blieb und anfing zu husten.
Zum Glück war es nicht so schlimm wie nach der Auspuffwolke, aber Anjano stellte sich dennoch hinter eine Hausecke und ließ seine Handflächen leuchten.
Ich stand hinter ihm, meine Hand lag auf seinem Rücken.
Dieses Mal leuchtete sie nicht, dennoch spürte ich, dass sie erneut kribbelte und etwas durch sie hindurchfloss.
Anjano kam wieder zu Atem. Lächelte. Zog mich weiter.
Wir liefen und liefen, bis Anjano abermals stehen blieb. Doch dieses Mal nicht, um zu husten. Mit nassen Haaren und Regenwasser im Gesicht drehte er sich zu mir um. »Juli …«, sagte er.
Wir standen da.
Sahen uns an.
Sein Gesicht war auf einmal ganz nah.
Das war er.
Der Augenblick.
Wir wussten es beide.
Ich sah es Anjano an.
In seinen Augen glomm ein Feuer, das wie in glühenden Funken zu mir herüberwirbelte.
Ich lächelte zaghaft.
Der Regen prasselte auf uns nieder.
Mein Herz schlug wie verrückt.
Anjano neigte den Kopf.
Ganz langsam.
Ich reckte mich ihm entgegen.
Schloss die Augen.
»Juli!«, hörte ich auf einmal eine schrille Stimme. »Bist du das?«
Ich riss die Augen wieder auf und wandte mich um.
Am Straßenrand hatte ein blauer VW gehalten. Am Steuer saß ein älterer Mann. Das Seitenfenster war heruntergefahren, und aus diesem Fenster guckte Larissa. Larissa aus Bio. Eines der Schätzchen von Antonia (die uns nicht zu ihrer Party eingeladen hatte). »Sollen wir dich nach Hause bringen?«, schrie Larissa durch den Regen. »Mein Vater fährt sowieso in die Richtung.«
Mussten die ausgerechnet jetzt hier auftauchen?!
»Nein, danke!«, entgegnete ich. »Ich gehe zu Fuß!«
Larissa musterte mich unschlüssig. Dann verrenkte sie sich den Hals nach Anjano, der hinter mir stand. »Musst du selbst wissen!«, rief sie zögernd, ließ dann aber das Fenster hoch und fuhr mit ihrem Vater davon.
Ich wandte mich wieder Anjano zu. Der schaute dem Auto mit zusammengezogenen Brauen nach.
Der magische Moment war vorbei.
Danke, Larissa.
Da hielt der Bus direkt vor unserer Nase. Mein Nachhausebus, richtige Richtung. Obwohl ich es wunderschön fand, mit Anjano durch den Regen zu laufen, freute ich mich umso mehr darauf, mit ihm in meinem trockenen Zimmer zu sein.
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