Der Sohn des Tuchhaendlers Historischer Roman by Richard Duebell

Der Sohn des Tuchhaendlers Historischer Roman by Richard Duebell

Autor:Richard Duebell
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Verlagsgruppe Luebbe GmbH Co KG
veröffentlicht: 2010-10-15T00:00:00+00:00


Nicht lang nach dem Mittagläuten gab der Rat dem Geschrei des Pöbels nach – oder besser: Die Gemüter der Ratsmitglieder gaben dem Druck nach –, und sie schickten einen Herold, um zu verkünden, dass Julius Avellino, Wohltäter des Volkes und Held der starken Worte, von Gott abberufen worden sei, wie der Herr diejenigen, die ihm teuer sind, stets für uns Menschen viel zu früh abberuft, der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, gesegnet sei der Name des Herrn und natürlich auch der von Julius Avellino, für dessen Seelenheil im Übrigen noch zur heutigen Vesperstunde eine Messe gelesen würde, und ein jeder sei herzlich gebeten, dort sein Gebet für den teuren Verblichenen zu sprechen, und so wolle man, was alles andere anginge, auf Gott vertrauen, uns in unserer berechtigten Trauer zu trösten und derweil das von ihm befohlene Tagwerk wieder aufnehmen, Amen und Gehet hin in Frieden und beweint mit uns den Toten … der Rat der Stadt Krakau.

Der Pöbel pfiff auf die Tränen, die der Rat weinte oder zu weinen vorgab, und glaubte kein Wort. Er ging von »Gebt-ihn-frei!« und »Lasst-ihn-sprechen!« zu »Lügner-wir-hängen-euch-auf!« über und zeigte darüber hinaus keinerlei Anstalten, sein Tagwerk wieder aufzunehmen oder in Frieden (oder überhaupt) zu gehen. Im Lauf der Stunden zwischen Non und Vesper fielen der sich immer mehr aufschaukelnden Stimmung mehrere Marktstände, ein paar Türen von prominent in der begehrten Lage direkt am Markt stehenden Häusern und ein alter Mann zum Opfer, der von unerkannt gebliebenen Rüpeln in die Floriansgasse gejagt worden war. Nicht, dass die Floriansgasse nicht voller Leute gewesen wäre … die brandlustige Meute vor dem Rathausturm war, obschon zahlreich, bei weitem in der Unterzahl gegenüber den Krakauern, die ruhig und besonnen oder wenigstens unparteiisch blieben, gleich ob deutscher oder polnischer Herkunft. In einem schienen sich alle, Deutsche oder Polen, Vernünftige oder Krakeeler, einig zu sein: dass die Jagd einer Horde Mordbrenner auf ein einzelnes Opfer ausgerechnet in dem Augenblick auf der anderen Gassenseite an einem vorbeigekommen war, als man sich abgewendet hatte, um mit einem Freund über das Wetter zu sprechen. Der alte Mann kam bis ungefähr in die Höhe von Laurenz Weigels Haus, wo er tot und mit blutigem Schaum vor dem Mund zusammenbrach …

Wenig später verlor das Stakkato-Gebrüll der Menge (»Lügner-wir-hängen-euch-auf!«) an Fahrt. Der Refrain war zu abstrakt. Niemand würde den Rat aufhängen; und: Alle wussten das. Vielleicht war es ja Langnase, der erkannte, dass der Blutdurst der Horde eine Richtung benötigte, und er gab sie ihr. Jedenfalls passte die Wendung zum Inhalt von Julius Avellinos letzter Predigt.

»Le-mel!«, skandierte ein Teil der Menge plötzlich, und der Ruf pflanzte sich fort wie Wellen auf einem Teich, in den jemand einen Stein geworfen hat. »Le-mel!«

»Le-mel!«

»Le-mel!«

»le-mel! le-mel!«

Und dann …

… eine hohe Stimme, geübt in der Klage Sie-haben-mich-ruiniert! …

»le-mel!«

Langnase.

»Kreuzigt ihn! Kreuzigt Samuel ben Lemel! Kreuzigt das ganze Judenpack!«

Diesen Augenblick wählte Veit Stoß für seinen Auftritt.



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