Der Seelensammler by Donato Carrisi

Der Seelensammler by Donato Carrisi

Autor:Donato Carrisi [Carrisi, Donato]
Die sprache: deu
Format: mobi
ISBN: 9783492954730
Herausgeber: Piper ebooks
veröffentlicht: 2012-07-28T19:13:48+00:00


17 Uhr 07

Sie schenkte sich eine große Tasse Tee ein und wärmte sich daran die Hände. Von der Küche aus konnte sie Pietro Zinis Rücken sehen, der in der Diele telefonierte. Doch leider verstand sie nicht, was er sagte.

Es war ihr gelungen, Schalber zu überzeugen, im Gästehaus von Interpol auf sie zu warten. Es war vernünftiger, wenn sie den alten Polizisten allein traf. Immerhin handelte es sich um einen Kollegen, der nicht so leicht auf sie hereinfallen würde wie Federico Noni. Er würde jede Menge Fragen stellen und sofort spüren, dass es sich um keine offizielle Ermittlung handelte. Außerdem konnten Bullen nicht besonders gut mit Interpolbeamten umgehen. Als sie bei Zini aufgetaucht war, hatte sie ihm nur erzählt, sie beschäftige sich in Mailand mit einem ähnlich gelagerten Fall wie dem des Figaro. Der alte Polizist hatte ihr geglaubt.

Während sie darauf wartete, dass er sein Telefonat beendete, warf Sandra einen Blick in die Akte, die Zini ihr gegeben hatte. Es handelte sich um eine Kopie der offiziellen Nicola-Costa-Akte. Sie hatte nicht gefragt, wieso sie sich in seiner Wohnung befand, sondern er hatte von sich aus erzählt, dass er schon in seiner aktiven Zeit Fallkopien bei sich zu Hause aufbewahrt hatte.

»Man weiß schließlich nie, wann man einen Gedankenblitz hat, mit dem man den Fall aufklären kann«, hatte er sich verteidigt. »Deshalb sollte man die Unterlagen stets griffbereit haben.«

Beim Durchblättern der Akte sah Sandra, dass Zini ein äußerst penibler Typ war. Es gab viele Anmerkungen, aber die letzten Vernehmungen ließen eine gewisse Eile erkennen. So als hätte er die Dinge forcieren wollen, wohl wissend, dass seine Erblindung näher rückte. Vor allem bei Costas Geständnis hatte er geschludert. Die Beweislage war mager, und ohne das Geständnis wäre die Anklage in sich zusammengefallen wie ein Kartenhaus.

Sie verzichtete darauf, sich weitere Vernehmungsprotokolle durchzulesen, und konzentrierte sich stattdessen auf die Anlagen. Die Akte enthielt auch Fotos der verschiedenen Tatorte. Zunächst von denen, wo die gewalttätigen Überfälle vor dem Mord stattgefunden hatten. Die drei Opfer waren jeweils allein in ihrer Wohnung überrascht worden. Die Tat hatte stets am Spätnachmittag stattgefunden. Der Wahnsinnige hatte mit der Schere mehrmals auf sie eingestochen. Aber die Wunden waren nie tief genug gewesen, um tödlich zu sein. Sie konzentrierten sich auf Brüste, Beine und Schamregion.

Psychiatern zufolge waren die Angriffe sexuell motiviert. Der Wahnsinnige wollte sich dadurch jedoch nicht selbst befriedigen wie einige Sadisten, die sich an Gewalt aufgeilten. Figaro verfolgte ein anderes Ziel: Er wollte verhindern, dass diese Frauen anschließend noch für irgendeinen Mann attraktiv waren.

Wenn ich euch schon nicht haben kann, soll euch auch sonst niemand haben.

Das war die Botschaft, die er mit seinen Taten verkündete. Ein Verhalten, das in der Tat hervorragend zu Costas Persönlichkeitsprofil passte. Wegen seiner Lippen-Kiefer-Gaumenspalte wurde er vom anderen Geschlecht abgelehnt. Deswegen penetrierte er seine Opfer nicht: Bei einem erzwungenen Geschlechtsverkehr hätte er ihren Ekel trotzdem gespürt und sich erneut abgewiesen gefühlt. Die Schere dagegen war ein idealer Kompromiss. Sie erlaubte ihm, Lust zu empfinden und dabei einen gewissen Sicherheitsabstand zu den Frauen zu wahren, die ihm ein Leben lang Angst eingejagt hatten.



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