Der Schwanz der Schlange by Leonardo Padura

Autor:Leonardo Padura [Padura, Leonardo]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Havanna, Karibik, Kriminalroman, Kuba, Spannung
Herausgeber: Unionsverlag
veröffentlicht: 2015-11-23T16:00:00+00:00

8

Rufino zog friedlich seine Kreise im runden Aquarium. Die furchterregenden Kampffischflossen durchpflügten sanft das Wasser und verursachten leichte Wellen durch jenen Rundtanz, der erst mit dem Tod des Tieres enden würde … Um wieder aufgenommen zu werden, wenn der nächste Rufino seinen Einzug hielt, der identisch war mit seinem Vorgänger und Vor-Vorgänger und dem ersten Rufino, denn mit seinen sich immer wiederholenden Lebenszyklen gab der rote Fisch dem Teniente das Gefühl, etwas auf der Welt sei oder zumindest scheine ewig und unveränderbar. »Darin besteht unser Leben, Rufo«, sagte El Conde zu dem gegenwärtigen Rufino, »immer im Kreis in schmutzigen Gewässern, bis wir den Löffel abgeben. Und stets wird sich jemand finden, der bereit ist, den Tanz fortzuführen. Bis alles endgültig den Bach runtergeht …«

Er setzte sich aufs Bett und legte die Pistole neben das Aquarium. »Rühr sie nicht an, Rufo, sie ist geladen«, warnte er den Fisch. Er rieb sich die Augen. Vor zwei Tagen, als Patricia ihm beim Putzen geholfen hatte, hatte er sich vorgenommen, sein Zimmer regelmäßig aufzuräumen, doch nun fehlte es ihm an Kraft, seinen Vorsatz in die Tat umzusetzen. Er betrachtete den Bücherturm auf dem Stuhl, dessen Funktion – bevor ihn die Frau, an deren Namen er sich nicht mal mehr erinnern mochte, verlassen hatte – es ursprünglich gewesen war, als Requisit eines gewagten Liebesaktes zu dienen. Nun stapelten sich auf dem Komplizen der Lust die Bücher, die er wieder und wieder las. Seit einiger Zeit kehrte er immer zu denselben Büchern zurück. Er kannte ihre Figuren besser als fast alle Menschen in seinem Umfeld und verspürte ein seltsames Vergnügen bei der Feststellung, dass sich ihr Leben von Lektüre zu Lektüre kaum veränderte, obwohl er jedes Mal neue Facetten oder Tendenzen an ihnen entdeckte. Denn in Wirklichkeit hatte sich durchaus etwas bewegt, wenn auch nur im Kreis. Er jedenfalls, Mario Conde, hatte sich bewegt – höchstwahrscheinlich abwärts –, und sein neuer Blickwinkel als Leser ließ ihn ein bisher nicht bemerktes Aufleuchten oder eine Verfinsterung in den wiederentdeckten Geschichten wahrnehmen. Als wäre er ein neuer Rufino im roten Gewand des vorangegangenen. Im wirklichen Leben dagegen gab es immer etwas, das sich veränderte. Und meistens leider zum Schlechten …

Jedes dieser zerlesenen Bücher hätte er früher gern selber geschrieben; jetzt dachte er kaum noch an die fast vergessene Berufung, auch wenn in einem irgendwo im Haus absichtlich verlegten Umschlag mehrere Geschichten ruhten, die er, manchmal sogar gegen seinen Willen, aufgeschrieben hatte. Denn in Wirklichkeit zog er es vor, wie ein Parasit von den Schriftstellern zu leben, die ihr Handwerk verstanden. Inseln im Strom, las er auf einem Buchrücken, Gespräch in der Kathedrale, Der Fänger im Roggen, Explosion in der Kathedrale, Liebesfieber, und dann hörte er auf zu lesen.

El Conde ging in die Küche, füllte Kaffee in die gusseiserne Kanne und stellte sie aufs Feuer. Er hatte Hunger, fühlte sich aber außerstande, etwas zu kochen. Was hätte er auch kochen sollen? Es sei denn, er ging mit Pfeil und Bogen auf die Straße und schoss sich einen chinesischen Hund …

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