Der Schneckenforscher by Highsmith Patricia

Der Schneckenforscher by Highsmith Patricia

Autor:Highsmith, Patricia [Highsmith, Patricia]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Neue Literatur
ISBN: 9783257606331
Herausgeber: Diogenes
veröffentlicht: 2015-01-05T16:00:00+00:00


[149] Die Heldin

Die junge Frau war so sicher, daß sie die Stelle bekommen würde, daß sie einfach mitsamt ihrem Koffer nach Westchester gefahren war. Nun saß sie in einem bequemen Sessel im Wohnzimmer der Christiansens, antwortete ernst auf die Fragen, die man ihr stellte, und sah mit ihrem dunkelblauen Mantel und dem Barett sogar noch jünger aus als einundzwanzig.

»Haben Sie schon einmal als Kindermädchen gearbeitet?« fragte Mr. Christiansen. Er saß mit gefalteten Händen neben seiner Frau auf dem Sofa, die Ellbogen auf die Knie seiner grauen Flanellhose gestützt. »Ich meine, haben Sie irgendwelche Empfehlungen?«

»Die letzten sieben Monate war ich Hausmädchen bei Mrs. Dwight Howell in New York.« Lucille sah ihn an, und ihre grauen Augen weiteten sich. »Wenn Sie es wünschen, könnte ich von ihr bestimmt ein Empfehlungsschreiben bekommen… Aber als ich heute morgen Ihre Anzeige las, wollte ich nicht warten. Ich wollte schon immer in einem Haushalt mit Kindern arbeiten.«

Mrs. Christiansen lächelte kaum merklich über den Eifer der jungen Frau. Sie nahm eine silberne Dose vom Sofatisch, stand auf und bot sie ihr an. »Möchten Sie eine?«

»Nein, danke. Ich rauche nicht.«

[150] »Nun«, sagte Mrs. Christiansen und zündete sich eine Zigarette an, »wir könnten natürlich dort anrufen, aber mein Mann und ich halten mehr von unserem persönlichen Eindruck als von Empfehlungen. Was meinst du, Ronald? Du hast doch immer gesagt, daß du jemanden willst, der Kinder wirklich mag.«

Fünfzehn Minuten später stand Lucille Smith in ihrem Zimmer im Dienstbotenhaus hinter dem großen Haus und schloß den Gürtel ihrer neuen weißen Uniform. Sie legte ein wenig Lippenstift auf. »Du fängst noch mal von vorn an, Lucille«, sagte sie zu ihrem Spiegelbild. »Von jetzt an wirst du ein glückliches, nützliches Leben führen und alles vergessen, was früher war.«

Aber schon weiteten sich ihre Augen wieder, so sehr, als wollten sie diese Worte Lügen strafen. Wenn ihre Augen so groß wurden, hatten sie viel Ähnlichkeit mit denen ihrer Mutter, und die gehörte zu dem, was sie vergessen mußte. Sie mußte sich auch abgewöhnen, die Augen so aufzureißen, denn dann sah sie überrascht und sogar unsicher aus, und beides ging nicht, wenn man mit Kindern zu tun hatte. Ihre Hand zitterte, als sie den Lippenstift hinlegte. Sie machte wieder ihr normales Gesicht und strich vorn über die gestärkte Uniform. Es gab nur ein paar Dinge, die sie sich merken mußte, ein paar alberne Angewohnheiten wie die mit den Augen: daß sie kleine Papierfetzen im Aschenbecher verbrannte oder manchmal die Zeit vergaß – Kleinigkeiten, die jedem mal passierten. Sie mußte nur gut aufpassen, und mit der Zeit würden sich diese Marotten von allein legen. Denn sie war genau wie andere Leute (das hatte der Psychologe ihr doch gesagt, oder?), und andere [151] Leute hatten mit so etwas überhaupt keine Schwierigkeiten.

Sie ging durch das Zimmer, setzte sich auf die Fensterbank unter den blauen Vorhängen und betrachtete den Garten und die Rasenfläche, die zwischen dem Dienstbotenhaus und dem großen Haus lag. Der Garten war länger als breit, in der Mitte befand sich ein Springbrunnen, und zwei gepflasterte Wege zeichneten ein schiefes Kreuz auf den Rasen.



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