Der Schatten und sein Meister by Julie Fellmann

Der Schatten und sein Meister by Julie Fellmann

Autor:Julie Fellmann [Fellmann, Julie]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 978-3-86222-168-4
Herausgeber: Volk Verlag
veröffentlicht: 2015-04-30T16:00:00+00:00


DONNERSTAG, NACHT

Sie hatte alle Lichter gelöscht, stand hinter dem Vorhang am Fenster ihres Wohnzimmers und blickte vom ersten Stock hinaus auf die Straße. Es war nun schon die zweite Nacht, in der sie da stand und die Straße beobachtete.

Wie durch ein Wunder war sie unverletzt geblieben, hatte aber eine Nacht im Klinikum rechts der Isar verbringen müssen. Erst nachdem sie eingehend chirurgisch untersucht worden war und das Gespräch mit einer ziemlich forschen Psychiaterin über sich hatte ergehen lassen, die ihr nicht glauben wollte, dass sie versehentlich vor das Auto gelaufen war, war sie vormittags entlassen worden. Sie hatte sich krankschreiben lassen, war mit einem Taxi direkt nach Hause gefahren, hatte die Tür verriegelt, eine Kommode vor die Tür geschoben, die Vorhänge vor die Fenster gezogen und sich ins Bett gelegt.

Aber der Schlaf hatte sich nicht einstellen wollen. Manchmal war sie in einen kurzen Sekundenschlaf gefallen, aus dem sie sofort wieder hochgeschreckt war. Und immer noch spürte sie den kalten Angstschweiß.

Die Nachmittagsstunden hatten sich ewig hingezogen, nur langsam war es draußen dunkel geworden und erst als völlige Dunkelheit herrschte, hatte sie sich aus ihrem Bett gewagt und war die ganze Nacht hier verharrt, hinter dem Vorhang, auf die Straße spähend. Bei jeder Bewegung da draußen hatte sie wieder diese prickelnde Kälte im Nacken gespürt. Doch gesehen hatte sie nichts.

Der nächste Tag war nicht viel anders verlaufen, tagsüber hatte die Angst etwas nachgelassen und sie war immer wieder in einen kurzen, unruhigen Schlaf gefallen.

Und nun stand sie wieder Wache, seit Stunden stand sie da, angestrengt in die Dunkelheit starrend, flach atmend, lauschend auf jedes Geräusch, jeden Schritt im Treppenhaus und der kalte Schweiß ließ ihren Rücken brennen.

Und dann sah sie ihn. Sie wusste nicht, von welcher Seite er gekommen war, obwohl sie so angestrengt gespäht hatte. Plötzlich stand er da, unbeweglich, im Hauseingang auf der anderen Straßenseite und blickte geradewegs zu ihr herauf. Ihr Herz klopfte wie wild, sie wagte es nicht, sich zu regen. Konnte er sie sehen? Es kam ihr vor, als blicke er ihr direkt in die Augen. Und dann ließ sie sich fallen. Sie krümmte sich auf dem Boden zusammen und weinte, hilflos, lautlos.

Er war wieder da. Er wartete auf sie.

Jetzt konnte ihr niemand mehr helfen.



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