Der Richter und sein Henker - Der Verdacht by Friedrich Dürrenmatt

Der Richter und sein Henker - Der Verdacht by Friedrich Dürrenmatt

Autor:Friedrich Dürrenmatt [Dürrenmatt, Friedrich]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Unterhaltung, Literatur, Krimi, Klassiker
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


wenn auch vielleicht wie im Traum; und als Emmenberger diesen Schnitt ausführte, mein Gott, Hans, hatte er die Augen ebenfalls weit

aufgerissen, sein Gesicht verzerrte sich; es war plötzlich, als breche aus diesen Augen etwas Teuflisches, eine Art übermäßiger Freude, zu quä-

len, oder wie man dies sonst nennen soll, daß ich eine menschliche Angst empfand, wenn auch nur für eine Sekunde; denn schon war alles vorbei.

Doch glaube ich, das hat niemand außer mir emp -

funden; denn die ändern wagten nicht hinzusehen.

Ich glaube auch, daß dies zum großen Teil Einbildung ist, was ich erlebte, daß die finstere Hütte und das unheimliche Licht an diesem Abend das Ihre zu dieser Täuschung beigetragen haben; merkwürdig am Vorfall ist nur, daß später der Luzerner, dem Emmenberger durch die Coniotomie das

Leben rettete, niemals mehr mit diesem gesprochen hat, ja, ihm kaum dankte, was ihm von vielen übel-genommen wurde. Über Emmenberger hingegen hat man sich seitdem immer anerkennend geäußert, er galt als ganz großes Licht. Seine Laufbahn war seltsam. Wir hatten geglaubt, er werde Karriere machen, aber es lag ihm nichts daran. Er studierte viel und wild durcheinander. Die Physik, die Mathematik, nichts schien ihn .zu befriedigen; auch in philosophischen und theologischen Vor-lesungen wurde er gesehen. Das Examen war glänzend, doch übernahm er später nie eine Praxis, 179

arbeitete in Stellvertretungen, auch bei mir, und ich muß zugeben, die Patienten waren begeistert von ihm, außer einigen, die ihn nicht mochten. So führte er ein unruhiges und einsames Leben, bis er endlich auswanderte; er veröffentlichte seltsame Traktate, so eine Schrift über die Berechtigung der Astrologie, die etwas vom Sophistischsten ist, was ich je gelesen habe. Soweit ich informiert bin, hatte niemand zu ihm Zugang, auch wurde er ein zyni-scher, unzuverlässiger Patron, um so unangenehmer, weil sich seinem Witz niemand gewachsen zeigte. Verwundert hat es uns nur, daß er in Chile plötzlich so anders wurde, was für eine nüchterne und wissenschaftliche Arbeit er dort drüben lei-stete; das muß durchaus am Klima liegen oder an der Umgebung. In der Schweiz ist er ja wieder gleich der alte geworden, der er von jeher gewesen ist.«

Hoffentlich habe er das Traktat über die Astrologie aufbewahrt, sagte Bärlach, als Hungertobel geendet hatte.

Er könnte es ihm morgen mitbringen, antwortete der Arzt.

Das sei also die Geschichte, meinte der Kommissär nachdenklich.

»Du siehst«, sagte Hungertobel, »ich habe vielleicht doch in meinem Leben zuviel geträumt.«

»Träume lügen nicht«, entgegnete Bärlach.

»Vor allem die Träume lügen«, sagte Hunger-180

tobel. »Aber du mußt mich entschuldigen, ich habe zu operieren«, und damit erhob er sich von seinem Stuhl.

Bärlach reichte ihm die Hand. »Ich will hoffen, keine Coniotomie, oder wie du das nennst.«

Hungertobel lachte. »Einen Leistenbruch, Hans; der ist mir sympathischer, wenn es auch, offen gestanden, schwerer ist. Doch jetzt mußt du Ruhe haben. Unbedingt. Du hast nichts nötiger als einen zwölfstündigen Schlaf.



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