Der Rest ist Schweigen. Roman by Carla Guelfenbein

Autor:Carla Guelfenbein [Guelfenbein, Carla]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
ISBN: 9783104007045
Herausgeber: Fischer e-books
veröffentlicht: 2015-08-01T16:00:00+00:00

25.

Nach unserer Begegnung in der Produktionsfirma haben wir uns nie mehr woanders getroffen als hier: in der Wohnung, die Leo an einem baumbestandenen Platz gemietet hat. Dort gehe ich nachmittags nach der Arbeit hin. Wenn er die Tür öffnet, öffnet er mir seine Welt und hält sie an für mich.

»Hallo, meine Liebe«, sagt er und nimmt mich in die Arme.

»Meine Liebe.« Unendlich abgegriffene Wörter, die mir dennoch zu gefallen beginnen, weil sie ein Gefühl von Unwirklichkeit in mir wecken. Es spielt keine Rolle, dass sie jenseits der Tür nicht gelten.

»Ich würde zu gern kochen lernen, um dich eines Tages mit einem großen Diner zu überraschen. Aber dafür tauge ich nicht«, sagt er und hält mich weiter fest. Ich spüre seinen Atem an meiner Schläfe.

Ich nehme seine Hand und führe ihn zum einzigen Sessel im Wohnzimmer. Der Raum ist groß und licht. Uns gegenüber gibt eine Glasfront den Blick auf den Platz mit den Kastanien frei. Man sieht von oben in ihre Kronen. Ich schiebe meine Hand unter sein Hemd, spüre, wie seine Brust sich mit dem Atem hebt und senkt.

»Ich habe auch schon daran gedacht, einmal mit Tüten voller Zutaten hier anzukommen und dich zu bekochen, aber das wäre wie in einer Hollywoodschnulze, und da vergeht es mir gleich wieder.« Leo lacht mir ins Ohr. Durch das halb offene Fenster dringt die Abendkühle. »Dann lieber das Essen, das über Telefon kommt. So sagt Lola dazu.«

Mit ihrem Namen weht eine lähmende Bö aus Wirklichkeit durch den Raum. Das kommt vor. Unter dem Klang mancher Wörter bröckelt der Damm, und durch die Risse sickert Schwermut. Leo legt mir seinen Zeigefinger an die Lippen und nimmt mich in die Arme. Diese Berührung ist weder außergewöhnlich noch fremd, und doch erregt sie mich. Die Beklommenheit weicht.

Nachdem wir miteinander geschlafen haben, schauen wir zu, wie sich der Himmel von Rot zu Stahlblau verfärbt. Wir hüllen uns in eine Decke. Vor unseren Augen liegt ausgebreitet die Stadt und brodelt beständig. Um diese Zeit fahren alle nach Hause, um diese Zeit stehe ich für gewöhnlich auf und gehe.

»Ich habe daheim gesagt, dass ich heute Nacht nicht nach Hause komme«, sage ich rasch, ehe es mir womöglich leidtut.

Weiter erkläre ich ihm nichts. Ich teile mit Leo die Lügen nicht, die Teil meines Alltags geworden sind.

»Diese Wohnung ist wie ein Glashaus«, bemerke ich.

»Stimmt«, sagt er. »Das hat mir bei der Besichtigung am besten gefallen, dieser atemberaubende Blick und das Gefühl zu schweben.«

Die Nacht bricht an. Die erleuchteten Fenster der Hochhäuser schwimmen im Dunkelblau der Dämmerung. Leo sagt, in den goldenen Fenstervierecken loderten die Schatten der Bewohner wie Flammen.

»Sieh mich an«, bitte ich ihn.

Ich möchte in seinem Blick dieses Leuchten sehen von einem, der nur Augen hat für den Menschen, den er liebt. Aber ich finde es nicht. Die winzige schwarze Schnecke in seinen Pupillen hat sich in ihr Haus zurückgezogen. Ich lache.

»Weshalb lachst du?« Er reckt die Arme nach oben.

»Einmal hat ein Freund gesagt, Sex beschränke sich für Männer auf ein Loch und einen Stecken.«

»Wenn du mich fragst, ist dein Freund etwas limitiert.

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