Der Rest der Nacht by Becker Martin

Der Rest der Nacht by Becker Martin

Autor:Becker, Martin
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Luchterhand Literaturverlag
veröffentlicht: 2014-01-13T16:00:00+00:00


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DAS SCHWERE

ICH STÜRZE AUF den Typen zu, blind vor Wut. Ich werfe ihn zu Boden, knie mich auf seine Brust und halte ihn fest: Was soll das, schreie ich, was glaubst du eigentlich, wer du bist. Er lässt mich gewähren, und erst jetzt erkenne ich ihn wieder. Die massige Gestalt, das donnernde Lachen, das zu kleine Uniformhemd, aus dem der Bauch hervorquillt: Das ist kein Wolf. Das ist Rottweiler. Mit einer einzigen Bewegung drückt er mich von sich, drückt er mich zu Boden und sagt: Beruhigen wir uns jetzt ein wenig?

Was tust du hier, frage ich. Ich hab dich eingesperrt, sagt Rottweiler. Was hast du mit mir gemacht, was soll diese Verkleidung, frage ich. Ich bin Bulle, sagt Rottweiler. Du, frage ich. Ich, sagt Rottweiler. Setz dich, sagt er, hilft mir auf und schiebt mir einen Stuhl hin. Warum hast du das gemacht, frage ich. Ich wollte weg für immer. Rottweiler schüttelt schnaufend den Kopf. Ich hab dich verwechselt, sagt er, einfach verwechselt. Es gab was über Funk, gefährlicher Typ am Bahnhof, ein Kerl, der reihenweise Banken und Tankstellen leerräumt, wir kriegen ihn einfach nicht. Und dann stehst du da mit der Kapuze im Gesicht, wie sollte ich wissen, dass du es bist, ausgerechnet du. Musstest du mich gleich die ganze Nacht hier drin lassen, du Arschloch, sage ich. Rottweiler schüttelt den Kopf und hebt entschuldigend die Hände in die Luft. Es sollte ein Spaß sein, sagt er, ein Scherz. Und dann ist alles aus dem Ruder gelaufen. Was ist aus dem Ruder gelaufen, frage ich.

Und dann faselt er los und irrt in der Kammer umher: Du kennst ja unsere Leute hier, weißt ja, wie sie sind, entweder dumm wie ein Stück Brot oder verschlagen. Wenn ein Kerl den anderen zu Brei haut, dann wartet er brav auf mich, dann hat er mir, wenn ich vor der Tür stehe, noch einen Kaffee gekocht mit seinen blutigen Händen und fragt, mit Milch oder mit Zucker. Aber dann gibt es noch die Verschlagenen. Und ich dachte, du wärst einer von denen. Er lacht. Ich fahr halt viel durch die Gegend. Ich lauf halt hier rum wie Falschgeld, den ganzen Tag, verstehst du. Gestern zum Beispiel dreh ich meine Runde am Bahnhof und dann kommt die Meldung über Funk, da steht ein Typ sich so krumm die Beine in den Bauch, und da denke ich, wie der da steht und nicht nach links und nicht nach rechts guckt, das muss er sein, und zack, hab ich ihn verhaftet, und zack, hab ich dich verhaftet, aus Spaß, verstehst du. Dann ist das aus dem Ruder gelaufen, ich dachte, ich lass dich nicht lange schmoren, eine Zigarette lang eben, weißt du, aber dann musste ich weg, dann kam ein Notfall über Funk, dann hab ich dich vergessen, musste ganz flott gehen alles, ein Kerl von der Fabrik ist nach der Arbeit in den Fluss gesprungen, in voller Montur, wir haben ihn die ganze Nacht gesucht. Aber nichts haben wir gefunden, nur sein weißes Hemd von der Fabrik.



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