Der Ort, an dem die Reise endet by Owuor Yvonne Adhiambo

Der Ort, an dem die Reise endet by Owuor Yvonne Adhiambo

Autor:Owuor, Yvonne Adhiambo [Owuor, Yvonne Adhiambo]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783832189105
Herausgeber: Dumont
veröffentlicht: 2016-03-18T00:00:00+00:00


21

Eine grob skizzierte Karte auf einem zerknitterten Zettel.

Ajany hat den Ort gefunden.

Sie kratzt das eingetrocknete rostrote Blut ihres Bruders auf ein kleines Stück Papier. Schabt es vom grauschwarzen Asphalt einer Seitenstraße voller Schlaglöcher, auf dem ein überfahrener, platt gedrückter, fetter, gesprenkelter Ochsenfrosch klebt. Das Leben des Frosches hat den Tatort kontaminiert. Nicht, dass es eine Rolle spielt. Es gibt keine Zeugen außer denen, die ein ewiges Schweigegelübde abgelegt haben. Die Eingeweide des Frosches am Boden sind wie ein böses Omen. Ihr fallen die schmutzigen Blütenblätter einer zerdrückten Lilie auf, als ihr die säuerliche Abscheu aus dem Mund quillt und sich mit dem Schmutz des Bodens vermischt.

Ein einsamer Wind bringt Kühle mit sich. Sie hört die Echos der Gebete eines Viehhirten, nachdem auch die letzten seiner Schafe und Ziegen in einer schrecklichen Dürreperiode von Leoparden zerrissen wurden: An dem Tag, an dem ich Gott begegne, werfe ich meinen Speer nach ihm.

Sie wird Wasser über die Wunde in der Straße gießen und sie mit bloßen Händen abwaschen. Aber zuerst legt sie den Kopf auf den warmen Asphalt und berührt die Erinnerung des Blutes mit ihrem Gesicht. Legt ein Ohr auf die Straße, lauschend und wartend. Wird zu Odidi. Wartet, stürzt sich über die Begrenzungen des Raums hinaus, und als sie unter sich schaut, sieht sie Odidis Fußspuren, die nach Wuoth Ogik führen. Odidi!, wimmert sie.

Stille ist die einzige Antwort.

Sie explodiert in ihrem Inneren.

Die Passanten, müde von den Kleinkriegen mit falschen Polizisten, mörderischen Gangs, doppelzüngigen Politikern und den Priestern des Leids, halten die kleine Frau, die auf der Straße liegt, nur für eine von vielen gut gekleideten Irren, die von Zeit zu Zeit aus dem Nichts auftauchen. Oder vielmehr von Unzeit zu Unzeit, wenn eine Nation unter den kleinen Egos kaputter Männer schwelt, die Könige sein wollen, und wenn fanatische Mobs mit stachelbewehrten Keulen kleine Jungen beschneiden und töten, wenn sechzehn kopflose Leichen eine Straßensperre auf einer Autobahn bilden und wenn Menschen Kugelschreiber als Waffe benutzen, um ihre Nachbarn zu beschuldigen – die niedergemetzelt und verbrannt werden –, und ihren irdischen Besitz für sich beanspruchen. In solchen Zeiten ist eine kleine Frau, die Blut von einer Straße voller Schlaglöcher schrubbt, nichts Besonderes.

Sie wird Wache halten auf diesem Stück Straße. Es wieder und wieder säubern. Die Verdammnis, die endlose Einsamkeit eines Bruders fortwaschen. Den Hass auskosten. Ein sich nähernder orangefarbener Zementmischer hupt. Sie sieht ihn und gesteht sich ihre Hilflosigkeit ein vor diesem Ding, das keine Worte hat.

Hup!

Das Einfachste ist, sich hinzulegen, alles loszulassen, selbst den Zorn. Aufzugeben, zu Asphalt zu werden. Zu nichts.

Eine schwangere Frau, die in einem roten Kiosk auf einem hohen Stuhl sitzt und deren Hand auf dem gerundeten Leib liegt, beobachtet Ajany. Die Frau kommt täglich zu dem Ort, an dem Odidi gestorben ist. Anfangs war sie bei ihren Besuchen ängstlich und verstohlen, aber jetzt gehört die Pilgerreise ebenso zu den täglichen Ritualen wie der Zehn-Uhr-Tee. Sie hat die Lilie hinterlassen. Für sie ist Odidi noch nicht unerreichbar. Im Traum spürt sie, dass seine Arme sie halten, ihr Kopf liegt an seiner Brust, und sie hört seinen Herzschlag – wenn sie schlafen kann.



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