Der Nazi & der Friseur by Edgar Hilsenrath
Autor:Edgar Hilsenrath [Hilsenrath, Edgar]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
Herausgeber: Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG
veröffentlicht: 2006-03-01T05:00:00+00:00
7.
Habe endlich etwas über Max Rosenfeld erfahren. Er ist der einzige Überlebende einer sechsköpfigen Familie. Er bildet sich ein, daß seine Frau und seine fünf Kinder von den Aposteln Adolf Hitlers zu Seife verarbeitet worden sind. Als Friseur hätt' ich ihn gerne gefragt: Was für Seife? Denn es gibt ja bekanntlich verschiedene Sorten. Aber ich hielt es für ratsamer zu schweigen.
Wie Max Rosenfeld aussieht? Max Rosenfeld sieht ... eben wie Max Rosenfeld aus. Ich würde sagen: so wie ein jüdischer Rechtsanwalt, der kein Rechtsanwalt ist, weil er nicht fertigstudiert hat ... der aber Buchhalter ist, einer, der sich für einen Rechtsanwalt hält ... der Zionistenführer war und aus Prag stammt ... der ungefähr so alt ist wie ich, aber etwas kleiner ... ich würde eher sagen: untersetzt ist oder versetzt um eine Kopfeslänge tiefer ... der schon weiße Haare hat und ein spitzes Gesicht, der eine große, schwarze Hornbrille trägt, so ähnlich wie meine, obwohl meine braun ist mit Brillengläsern aus gewöhnlichem Glas ... der keine blauen Augen hat, wie Itzig Finkelstein, der andere ... sondern hellbraune ... die oft gelblich wirken ... wie was? ... ich weiß nicht wie ... die immer anders blicken können, so daß man ganz wirr wird.
Es stimmt. Seine Augen wechseln den Blick zu oft. Manchmal blicken sie auch wie Kernseife.
Jetzt hab ich's: Kernseife!
Max Rosenfeld lebt von Liebespaketen aus Amerika. Er möchte wieder arbeiten.
Wir unterhalten uns oft über den zukünftigen Judenstaat.
Max Rosenfeld ist ein fanatischer Zionist.
»Passen Sie auf, Herr Finkelstein! Wenn es soweit ist ... und es ist bald soweit ... da werden wir eine Armee aus dem Boden stampfen so wie einst Judas Makkabäus!«
Wir sprechen oft über den Aufstand der Makkabäer und über den Aufstand Bar Kochbas, und Max Rosenfeld freut sich jedesmal, wenn er sieht, wie gut ich über jüdische Geschichte Bescheid weiß.
»Herr Finkelstein ... wissen Sie ... ich möchte gerne wieder neu anfangen ... aber nicht hier ... drüben!«
»Wo ... drüben ... in Amerika?«
»Nein. In unserem eigenen Land.«
»Und was wollen Sie dort machen?«
»Das weiß ich noch nicht. Ein neues Leben anfangen. Eine neue Familie gründen.«
Max Rosenfeld begleitet mich oft bis zum Schwarzmarkt, obwohl er den Schwarzmarkt haßt. Nur, um sich die Beine zu vertreten ... und um mit jemandem zu reden.
Auch gestern:
»Herr Finkelstein! Juden wie Sie sind ein gefundenes Fressen für die Hetzpropaganda der Antisemiten!«
»Wie meinen Sie das?«
»Schwarzhändler wie Sie!«
»Aber Herr Rosenfeld ...«
»Das heißt ... wieder Öl auf die Flamme gießen, die sich hier einstweilen beruhigt hat.«
»Aber ich bitte Sie ...«
»Sie sollten auswandern, Herr Finkelstein. Fahren Sie nach Palästina. Nehmen Sie einen Pflug in die Hand.
Und ein Gewehr. Leisten Sie Aufbauarbeit. Helfen Sie, Ihr Land befreien. Anstatt hier in Deutschland zu hocken, um als Schwarzhändler wieder Antisemitismus zu stiften!«
Hatte nicht auch der Butler etwas Ähnliches gesagt?
Daß sich Max Rosenfeld später bei mir entschuldigte - und zwar noch vor dem Abendessen - hatte ich erwartet. Wir leerten gemeinsam eine Flasche schwarzen Wein, tranken auf den zukünftigen Judenstaat, tranken auf das Ende der Diaspora, segneten den Nil, der die Heerscharen des Pharaoh verschlang, segneten die Stadt an der Wolga.
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