Der Morgen der Welt by Roeck Bernd
Autor:Roeck, Bernd
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Neuzeit bis 1918
Herausgeber: C.H.Beck
veröffentlicht: 2017-09-19T00:00:00+00:00
«O tempora, o mores!»: Humanismus im Heiligen Reich
In ähnliche Zusammenhänge führt Konrad Celtis’ nie vollendetes Projekt einer Beschreibung Deutschlands, der «Germania illustrata». Der Autor hoffte auf eine Erneuerung seiner Heimat aus dem Geist der Antike. In seiner berühmtesten Ode fordert er Apoll auf, Italien zu verlassen, wie er einst von Griechenland dorthin übergesiedelt sei. Mit seiner Leier möge er zu den Deutschen kommen. So würden deren rohe Rede und alles Dunkle verschwinden.[32] Der 1459 im Fränkischen als Sohn eines Winzers geborene Celtis absolvierte sein Leben als Bildungswanderung. Er studierte in Köln und in Heidelberg, lehrte an zahlreichen Universitäten, bereiste Italien von Padua bis Rom, besuchte Krakau und Buda. Einige Große und ganz Große seiner Zeit kreuzten seinen Weg. Er traf Ficino und Pomponio Leto, suchte Manuzio in Venedig auf und gewann die Gunst zweier Kaiser. Friedrich III. krönte ihn auf Nürnbergs Kaiserburg zum Dichter, Maximilian berief ihn als Professor nach Wien. Daß er nach seinem Tod 1508 ein Epitaph am Stephansdom erhielt, belegt, wieviel ein humanistisch gebildeter Gelehrter auch im Norden inzwischen gelten konnte.
Dem Deutschland seiner Zeit war Celtis der wichtigste Vermittler antiken Denkens und Dichtens. Er edierte Tragödien Senecas, die «Germania» des Tacitus und Apuleius’ «Über die Welt». Auch erarbeitete er eine griechische Grammatik. Seine Oden, Elegien und Epigramme zeugen von intimer Kenntnis Platons und anderer Klassiker. Zudem versuchte er, Musik und Theater der Alten wiederzubeleben. Für Dürer und dessen Kollegen entwarf er Bildprogramme. Auf Celtis, den unermüdlichen Netzwerker, ging ferner die Einrichtung von «Sodalitäten» – locker organisierten Clubs – in Heidelberg, Wien und Krakau zurück. Den nun auch in Deutschland erwachenden Patriotismus deuten seine Edition der Werke Hrotsviths von Gandersheim und eine Beschreibung Nürnbergs an. Das mit Zahlensymbolik und astrologischen Bezügen aufwartende «Carmen saeculare» ist von Horaz’ gleichnamiger Ode inspiriert: Als Gegenrede zur Weltuntergangsstimmung der Frommen feiert es das heilige Jahr 1500, lobt Götter und Menschen von Verdienst und gipfelt in der Anrufung eines unfaßbaren Gottes.[33] Kaiser Maximilian, seinen Gönner, rühmt der Dichter darin als Herrscher eines Goldenen Zeitalters.
Inzwischen hatten Celtis’ Landsleute auch die Archäologie für sich entdeckt. Der Boden der Germania barg schließlich diesseits des Limes in Fülle Überreste des Imperiums, in dessen Tradition man die Heimat sah. Als einer der ersten huldigte der Augsburger Stadtschreiber Dr. Conrad Peutinger (1465–1547) der Wissenschaft des Spatens. Der in Bologna und Padua ausgebildete Jurist und Berater Kaiser Maximilians sammelte Antiken, kopierte und publizierte Inschriften.[34] Mit seinem Namen verbunden ist die mittelalterliche Kopie einer spätrömischen Straßenkarte, die Celtis in einer Klosterbibliothek fand und dem Augsburger Freund schenkte. Daher heißt das an Länge über sechs Meter messende Dokument «Tabula Peutingeriana».
In Nürnberg publizierte der Humanist und Stadtarzt Hartmann Schedel (1440–1514) eine umfangreiche Inschriftensammlung.[35] Seine Stadt zählte inzwischen zu den zentralen Orten der nördlichen Renaissance. Die Ästhetik ihres berühmtesten Bürgers Albrecht Dürer war vom Denken Albertis und Ficinos geprägt.[36] Der Begegnung mit der Kunst des Südens schuldete Dürers Malerei entscheidende Anregungen. Das von Peter Vischer und seinen Söhnen zwischen 1506 und 1519 errichtete Sebaldus-Grab in der gleichnamigen Nürnberger Kirche stellte eine eigenwillige nördliche Variante der Renaissance zur Schau.
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