Der Mitreiser und die Ueberfliegerin by Mira Valentin

Der Mitreiser und die Ueberfliegerin by Mira Valentin

Autor:Mira Valentin [Valentin, Mira]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Jugendbücher, Belletristik, Fantasy, Schwierige Themen, Science-Fiction & Fantasy
veröffentlicht: 2017-08-24T22:00:00+00:00


***

Milan hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Seit Stunden saß er in der Untersuchungszelle. Er wusste nicht, wie viel Uhr es war, wusste nicht, wo die anderen waren, wusste nicht, wer seine Pferde fütterte. Wie ein Tier mit Hospitalismus lief er in seiner Zelle auf und ab, schlimmer als er es je einen von Damians Tigern hatte tun sehen. Dabei fragte er sich, warum das alles hatte passieren müssen. Waren die Tierschützer Schuld, weil sie Damians Gespenster entfesselt hatten? Die Betrunkenen, weil sie ihn provoziert hatten? Oder vielleicht doch mal wieder er, Milan, weil er den Dompteur betrunken gemacht hatte? Hätte er es nach Julies Ohrfeige doch gut sein lassen! Hätte er nur das Fass Bier nicht aus dem Kühlschrank geholt! Hätte! Hätte! Hätte!

Irgendwann wurde das Licht in der Zelle gedämpft. Da merkte er, dass niemand mehr kommen würde, um seine Fragen zu beantworten. Julie hatte Recht mit dem, was sie über den Zaun sagte: Sie waren nur auf ihrer Seite sicher. Wären sie doch nur dort geblieben. Auf der harten, leicht nach Erbrochenem stinkenden Pritsche fiel Milan in einen unruhigen Halbschlaf. Bei jedem Geräusch fuhr er hoch, bildete sich ein, er würde etwas verpassen, könnte seine Freunde nicht retten. Wüste Traumbilder mischten sich mit seiner Realität, Monster verschlangen ihn und platzten wieder im Neonlicht des Flurs.

Der erste Besuch, den er am nächsten Morgen erhielt, war Clemens von Baumgart. Ohne eine großartige Reaktion über die veränderten Rahmenbedingungen ihres Gesprächs zu zeigen, setzte der Psychologe sich an den Tisch im Besprechungsraum der Polizei und ruckelte an seinem Hemdkragen. Wieder einmal nahm Milan in Handschellen ihm gegenüber Platz.

»Das Opfer hat überlebt«, war das erste, was von Baumgart sagte. Er wartete auf eine Reaktion von Milan, doch die blieb aus.

»Ist diese Nachricht eine Erleichterung für dich?«

»Ja«, sagte Milan und das stimmte auch. In erster Linie aber war er erleichtert, dass Damian dadurch weniger Ärger bekommen würde. Das Arschloch war ihm egal. Von Baumgart schien ihm das anzusehen.

»Gehe ich Recht in der Annahme, dass du einem Menschen den Tod wünschst, nur weil er deine Freundin beleidigt hat?«

»Nein, verdammt.«

»Ein einfaches Nein reicht mir.« Wieder ruckelte der Psychologe an seinem Kragen herum. Diesmal war ihm die Umgebung wohl zu stickig. Garantiert hatte er selbst irgendeine Paranoia und war deshalb so empfindlich.

»Wo sind die anderen?«, fragte Milan. »Ich sage kein Wort mehr, bevor ich nicht weiß, wo sie sind.«

Ein seltsames, falsches Vertreterlächeln stahl sich auf von Baumgarts Mundwinkel. »Ich muss schon sagen, du hast dich gut in der Zirkuswelt eingelebt. Freunde gefunden. Und sogar ein Mädchen. Das ist eine Leistung, die ich durchaus zu würdigen weiß.« Er machte eine kleine Kunstpause. »Damian und Julie sind in den Zellen neben dir. Nancy durfte nach Hause, damit sie für die Kinder sorgen kann.«

»Und die Arschlöcher?«

»Du meinst die Freunde des Opfers? Was soll mit denen sein? Sie haben ihre Aussage gemacht und durften gehen. Sie haben niemandem etwas getan.«

»Ich habe auch niemandem etwas getan.«

Der Psychologe seufzte. Dann zückte er die Polizeiakte und las Milans Aussage vor. Als er fertig war, ließ er die Mappe geräuschvoll zwischen ihnen auf den Tisch fallen.



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