Der Metzger muss nachsitzen by Thomas Raab
Autor:Thomas Raab
Die sprache: de
Format: mobi, epub
veröffentlicht: 2009-10-04T22:00:00+00:00
Siebenter Gang:
Dann gehen auch der Sedlatschek, der Dörflinger, der Hofmüller und der Friedberg. Nur der Konrad Zwirnhofer bleibt mit dem Metzger sitzen und lange Zeit sprechen sie nichts. Plötzlich hebt der Zwirnhofer den Kopf und schaut in seiner ganzen Strenge seinem ehemaligen Musterschüler tief in die Augen:
âWillibald, du hast also das Klassentreffen veranstaltet?â
Zum ersten Mal hat der Willibald das Bedürfnis sich auszuweinen, einfach alles zu erzählen! Das Alleinsein mit dem Wissen, dass hier etwas faul sein muss, bereitet ihm zusehend Schwierigkeiten. Er ist kein Kriminalbeamter und er ist vor allem kein Lügner, das liegt ihm ganz besonders schlecht.
Mit fünf Jahren hat er zum ersten Mal den Drang verspürt, die Unwahrheit sagen zu müssen. Als seine Mutter nach zwei Wochen Spitalsaufenthalt nach Hause gekommen ist und ihn gefragt hat, ob er mit Papa allein gut zurechtgekommen ist! âJaâ, hat er gesagt, der Willibald. Im Grunde war das gar nicht gelogen, trotzdem konnte er dieses âJaâ nie wieder vergessen! Mit dem Papa ist er nämlich schon zurechtgekommen, aber mit der Frau, die er noch nie zuvor gesehen hatte, und die jede Nacht im Bett von der Mama gelegen ist, während die Mama im Spital war, mit der ist er gar nicht zurechtgekommen!
Das zweite Mal musste er dann lügen, wie ihn die Mama nach der Scheidung gefragt hat, ob er irgendetwas geahnt hat, ob er bemerkt hat, dass der Papa eine andere Frau lieber mag! Da hat er âNeinâ gesagt, der Willibald.
Lügen ist am schlimmsten, wenn es Leute betrifft, die dir nahe sind, die du im Grunde liebst. Und da tut es dir dann meistens selber viel mehr weh als der belogenen Person, natürlich nur solange sie von der Lüge nichts weiÃ. Und wenn sie es doch herausbekommt, dann tut es beiden weh, und es wird nie wieder gut! Diese Wunden heilen nicht, da hilft kein Therapeut, kein Beichtstuhl und kein Doppler Rotwein!
Während der Schulzeit waren dann Lügen für den Willibald in gewisser Weise Routine, weil die blauen Flecken und die Schmerzen, das rote Gesicht und das zerrissene Gewand, all das waren aus seinem Mund in Gegenwart seiner Mutter immer nur banale Stürze, wilde Bagatellen, lustige Fangenspiele und verdammt lustige Schneeballschlachten. Niemals hat bei ihm daheim irgendwer erfahren, was in der Schule los war, niemals hätte er auch nur ein Wort darüber verloren, weil er unter keinen Umständen wollte, dass seine einsame Mama sich Sorgen um ihn machte!
Wie dann sein Vater gestorben ist, hat er das letzte Mal einen nahen Menschen belogen. Er hat nämlich am Sarg zu seinem Papa gesagt, dass er ihn immer geliebt und ihm verziehen hat. Der Tod ist nur vordergründig ein Grund, Lossprechungen zu erteilen, die Trauer vergibt, weil der Schmerz der Traurigkeit ohnedies groà genug ist. In diesem Moment brauchen wir dann den Vergangenheits-Psycho-Krimskrams nicht auch noch. Hintergründig bleibt die Nadel aber stecken, tief im groà gewordenen Kinderherz!
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