Der Markisenmann: Roman (German Edition) by Jan Weiler
Autor:Jan Weiler [Weiler, Jan]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Heyne Verlag
veröffentlicht: 2022-03-21T07:00:00+00:00
Ronald Papen hatte in der ersten Woche unserer Zusammenarbeit die phänomenale Summe von zweitausendsechshundert Euro umgesetzt, in der zweiten waren es über dreitausend, und wenn das so weiterging, war er am Ende der Sommerferien steinreich. So betrachtete er das, zumal er davon ausging, dass er anschlieÃend weiter in der Erfolgsspur bleiben würde. Er hatte sich zunächst widerwillig, aber nach und nach immer überzeugender die Methoden seiner Tochter zu eigen gemacht und damit begonnen, bereits an der Haustür zu analysieren, auf welche Weise man über die Schwelle kam. Neben der Melanin-Finte und dem Toiletten-Trick hatte sich die Gerechtigkeits-Masche als vielversprechend herausgestellt. Sie zog immer dann, wenn man irgendwo aufkreuzte, wo Lottoscheine auf der Kommode lagen, wo die Wohnung einen renovierungsbedürftigen Eindruck vermittelte oder die FuÃmatte besonders abgenutzt schien.
In solchen Fällen stellten wir uns als gewerkschaftsnahe Menschenfreunde vor, die etwas gegen die ungeheuerliche Benachteiligung ausrichten wollten, die sich auf dem Balkon in Form einer fehlenden Markise manifestierte. Papen donnerte dann, dass Schatten ein Menschenrecht sei, welches jedoch in dieser bundesrepublikanischen Gesellschaft nur von den Reichen oder jenen, die sich dafür hielten, in Anspruch genommen werden konnte.
»Der Arbeiter, der im Stahlwerk oder im Bergbau seine Gesundheit ruiniert, die Masse der Werktätigen, die tagaus, tagein für den Profit der Aktiengesellschaften ihren Rücken krumm machen, die sollen ihr Bier auch im Schatten trinken können. Das ist unser Auftrag.«
Bei diesem Thema blühte mein Vater für seine Verhältnisse regelrecht auf und schoss einen Arbeiter-und-Bauern-Aphorismus nach dem anderen ab. Er nutzte dafür das Vokabular, das er über die langjährige Mitgliedschaft in der FDJ eingetrichtert bekommen hatte, und einmal sagte er im Auto, dass er niemals gedacht hätte, dass der Scheià für irgendwas gut sein könnte. War er aber, denn Ronald stachelte mit seinen Vorträgen mehrere Werktätige derart auf, dass sie nach wenigen Minuten am liebsten zwei oder drei Markisen gekauft hätten. Man muss aber auch anmerken, dass diese Exemplare recht günstig weggingen, weil mein Vater es nicht mit sich vereinbaren konnte, erst thälmannartige Volksreden zu halten und dann fünfhundert Euro für eine Markise zu verlangen. Es blieb meistens bei hundertfünfzig Euro, manchmal sogar darunter. Er senkte konsequent die Preise, so als wollte er damit sein schlechtes Gewissen über unsere zweifelhaften Verkaufsmethoden kompensieren. Wenn jemand angefangen hätte zu weinen, hätte er die Markisen wahrscheinlich auch verschenkt.
Auch bei diesem Szenario spielte ich die Türöffnerin, indem ich mich als soeben freigestellte Angestellte der Firma Opel ausgab, als enttäuschte Opelanerin, die jetzt auf dem Wege der ArbeitsbeschaffungsmaÃnahme eine Kurzzeitstelle bei der Firma Markisen für alle angetreten habe. Die Solidarität der Kunden führte im Allgemeinen dazu, dass die schwierige Optik unseres Warenbestandes kaum je erörtert wurde. SchlieÃlich wurden die Markisen für einen guten Zweck gekauft. Und auÃerdem stammten sie, wie mein Vater wahrheitsgemäà berichtete, aus dem Bestand eines volkseigenen Betriebes aus Brandenburg, der nach der Wende von der Treuhandanstalt rigoros plattgemacht worden sei. Diese Markisen nun in einer Arbeiterstadt wie Bochum oder Dortmund zu installieren sei ein symbolischer Akt des Kampfes gegen das, ja: System.
Mindestens ebenso aussichtsreich war der Blick in penibel aufgeräumte Wohnungen.
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