Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte by Köhler Manfred

Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte by Köhler Manfred

Autor:Köhler, Manfred [Köhler, Manfred]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2011-08-01T22:00:00+00:00


Es weckte mich Motorenlärm. Ich war steif und glühte innerlich. Als ich von den Bänken kroch, wurde mir schwindlig. Wie ein Hundertjähriger tappte ich im Dunklen zur Tür des fensterlosen Abstellraumes, ging hinaus in die Kirche und tastete mich an den Wänden entlang zum Ausgang. Ich öffnete das Portal einen Spalt, lugte hinaus in die Morgensonne und kämpfte gegen die Schwäche in mir.

Durch den Türspalt konnte ich das Heck eines Sattelschleppers sehen und das Kennzeichen der Hansestadt Bremen. Ich sah einen ovalen weißen Aufkleber mit einem großen schwarzen D. Nach so vielen Wochen der Verlorenheit tief in einem fremden Land war dieser Anblick wie ein Versprechen auf Heimkehr für mich, und schmerzliche Freude durchströmte mich.

Ich hörte leise Stimmen, erkannte den Singsang des Pastors und wollte schon das Kirchenportal ganz aufdrücken und mich hinzugesellen zu meinen Rettern, da sah ich aus den Augenwinkeln einen kleinen runden Mann in einem mausgrauen Anzug aus einem der Häuser des Dorfes treten und zielstrebig auf die Kirche zukommen. Sofort zog ich die Kirchentür zu mir heran. Mein Herz rotierte in meinem entzündeten Brustkorb. Der Fremde, der sich im Dorf einquartiert hatte – es war niemand anders als die kleine Billardkugel, der miese, angeblich taubstumme Anwalt, der dazu beigetragen hatte, mich einzukerkern.

Ich suchte nach einem Fenster, nach einer Luke, einer Ritze, nach einer Hintertür – irgendeinem Zugang für Auge oder Ohr zu der Szene, die sich jenseits des Kirchenportals am Führerhaus des Sattelschleppers gerade abspielte. Billardkugel war zielstrebig auf den Ort zugestampft, an dem ich die Stimmen gehört hatte. Offenbar war der Konvoi gerade eingetroffen, und es gab keinen Zweifel, dass er mit den Leuten Kontakt aufgenommen hatte. Ich musste mit allem rechnen – auch damit, dass er den Pastor dazu brachte, mich zu verraten.

Nun hatte ich zu bereuen, dass ich nie über das mit Justus Näb gesprochen hatte, was mir im Detail widerfahren war. Er hatte während meines Deliriums so manches aufgeschnappt, sich eine Geschichte zusammengereimt, und als er mir gegenüber mit einigen Brocken dieser Geschichte aufwartete und Peter Honkes darin als mein Hauptgegenspieler auftauchte, setzte ich ganz selbstverständlich voraus, dass ihm die ganze Wahrheit vorlag. Erst jetzt begriff ich, wie ausgeschlossen das war. Der Pastor hatte meinen elenden Zustand gesehen und gehört, dass ich als geflüchteter Vergewaltiger gesucht wurde. Nur weil ich mich als Opfer von Honkes eingeführt und so viel Geld für seine Kirche gespendet hatte, ging er davon aus, dass ich der Gute in dem Spiel war. Vielleicht aber unterbreitete ihm Billardkugel in diesem Augenblick eine Geschichte, die ihn meine Rolle ganz anders sehen ließ. Ich konnte nicht hier herumsitzen und warten, was als nächstes geschehen würde.

Das Hauptportal war der einzige Ausgang der Kirche. Ich warf mir die Decken, unter denen ich übernachtet hatte, über die Schulter, öffnete so langsam und leise wie möglich die Tür und schlich hinaus. Links vom Eingang, um die Ecke des rechteckig gebauten Gotteshauses herum, wurde auf Russisch palavert. Ich erkannte die Stimme des Pastors, ein kantiges Organ, das nach Pirmin Petrowna klang, aber ich erinnerte mich kaum an ihn; außerdem waren mindestens noch zwei Männer und eine Frau an dem Gespräch beteiligt.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.