Der Letzte Askanier by Horst Bosetzky

Der Letzte Askanier by Horst Bosetzky

Autor:Horst Bosetzky [Bosetzky, Horst]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-12-29T05:00:00+00:00


KAPITEL 16

1348 – Litauen

Adela Rehbock saß am Grab ihrer Mutter. Mindaugas, ihr Mann, hatte ihr nach vielem Bitten und Betteln erlaubt, in der Mitte eines lichten Birkenwäldchens einen kleinen Hügel aufzuschütten und mit einem Kreuz zu versehen, das aus zwei Zweigen bestand, von einem dünnen Bastfaden gerade eben so zusammengehalten.

Die stumme Zwiesprache mit ihrer Mutter war das Ritual, das ihrem Tag Sinn und Inhalt gab. Sie mußte heute lange warten, bis sie die Stimme der Mutter dünn und wie aus weiter Ferne hörte.

»Jetzt wo ich tot bin, kannst du doch nach Brandenburg zurückkehren.«

Adela ließ sich Zeit mit ihrer Antwort. »Dich hier zurücklassen in fremder, heidnischer Erde? Niemals!«

»Nur mein Leib bliebe hier, mein Geist wird mit dir ziehen.«

»Mutter, wie soll ich es denn schaffen bis zur Oder zurück!? Nicht einmal der kühnste Ritter wäre dazu in der Lage – allein.«

Seit dreiundzwanzig Jahren war sie hier in Samaiten, was umschlossen wurde vom Gebiet der Pruzzenstämme im Süden, der Ostsee im Westen, Kurland im Norden und dem Großfürstentum der Litauer im Osten, und diese sahen sich auch als die Herren, wurden aber immer wieder vom Deutschen Orden bedrängt, der den Weg nach Livland sichern wollte. Adela wußte dies alles von Hedwig, ihrer Freundin, deren Mann als Waffenmeister im Heer des Großfürsten Olgerd vieles erfuhr. Bei ihm hatte Adela auch eine Landkarte gefunden, die bis zur Oder reichte, und sich alles abgezeichnet, was von Bedeutung war. Darauf ging nun ihre Mutter ein.

»Kind, du kennst den Weg …«

»Im unwegsamen Gelände, ja!« rief Adela aus. »Du erinnerst dich wohl nicht mehr, wie wir hergekommen sind. Wenn die Soldaten hindurch wollen, müssen sie sich erst mühsam ihre Schneisen schlagen. Und Flüsse gibt es, die sich nicht durchschwimmen lassen, Moore, in denen man versinkt, Wälder, aus denen es kein Entrinnen mehr gibt, und viele Wegstrecken nur dürre Heide, auf der man vor Hunger und Durst zusammenbricht. Nirgendwo ein Dorf, nur Öde.«

»Man darf sich niemals aufgeben, Kind!«

»Ich habe meine eigenen Kinder hier.«

»Die sind längst flügge geworden und erinnern sich deiner nicht mehr.«

»Mutter, wir leben hier auf einer Insel, ringsum ist das endlose Meer – und ich kann nicht einmal schwimmen.«

»Der Herr wird dir helfen!«

»Und wenn – was soll ich in Bärwalde: Ein Zuhause gibt es nicht mehr. Unsere Mühle ist verschwunden, und keiner ist noch da, mich wiederzuerkennen und in die Arme zu schließen. Ich würde eine Fremde in der Heimat sein. Ach, was rede ich: es ist ja reiner Irrsinn, an eine Flucht zu denken! Es zu wagen, wäre der sichere Tod.«

Hinter ihr knackte es im Unterholz. Sie fuhr herum. Doch es war nur ihre Freundin Hedwig, die sie aus Arnswalde verschleppt hatten, was noch ein wenig östlicher als Bärwalde in der Neumark lag, der Terra Transoderana. Auch sie war in Litauen vorzeitig grau geworden, hatte ihre Kraft in harter Arbeit verbraucht, war aber im Gegensatz zu Adela nie trübe oder zornig gestimmt, sondern trug ihr Schicksal mit Gelassenheit. Überall auf der Welt hatte sie Kühe zu melken und Ställe auszumisten und unter stinkenden Männern stillzuhalten. Egal, ob das nun ein Deutscher oder ein Litauer war.



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