Der Leibarzt der Zarin by Heinz G. Konsalik

Der Leibarzt der Zarin by Heinz G. Konsalik

Autor:Heinz G. Konsalik [Konsalik, Heinz G.]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2010-09-28T04:00:00+00:00


10

Marja Temrjuka saß noch immer betend in ihrem goldenen Sessel. Die Mönche sangen das zehnte Credo; drei kleine Meßdiener, Novizen des Klosters, wechselten Kerzen aus. Zwei riesenhafte Leiblakaien schwangen die noch herbeigeschaften schweren bronzenen Handglocken … Es war eine überwältigende Feier frommer Gottergebenheit, wie man sie sonst nur zu Ostern kannte.

Der Zar blieb in der Mitte des Gemachs stehen und winkte Trottau an seine Seite. Das Licht der vielen Kerzen flackerte über Iwans Gesicht.

»Wie schön sie ist«, sagte er heiser vor Erregung.

»Es ist eine herrliche Feier«, antwortete Trottau.

»Ich meine die Zarin, du Hohlkopf!« Iwan warf seinen tatarischen Mantel ab. Er ließ ihn einfach zu Boden fallen und schleuderte die spitze, goldbestickte Mütze hinterher. »Hinaus!« brüllte er so laut, daß seine Stimme selbst den Chor übertönte und den kirchlichen Gesang zerschnitt wie ein Schwert. Die Stimmen schwiegen, zerflatterten, ertranken gleichsam in diesem Aufschrei. »Alles hinaus! Bei Sonnenaufgang singt ihr weiter! Der Patriarch soll die Messe lesen! Alle Popen Moskaus will ich um mich sehen! Das geweihte Kreuz will ich küssen! Aber jetzt hinaus mit euch, hinaus!«

Die Mönche rafften die Kutten und rannten aus dem Zimmer. Die Novizen hasteten ihnen nach und zum Schluß die beiden Riesen von Leiblakaien.

Er drehte sich um, machte vier lange Schritte und stand vor Marja. Mit einem harten Griff packte er ihr Festkleid und riß es über der Brust auf. Er zog es mit drei wilden Rucken vollends herunter, so daß die Zarin mit nacktem Oberkörper, unbeweglich wie aus weißem Stein gemeißelt, auf dem goldenen Sessel saß.

»Wie krank sie ist!« rief Iwan gedehnt und winkte Trottau heran. »Komm her, sieh es dir an … Ist das ein kranker Körper?«

Gehorsam trat Trottau vor die Zarin. Ihre Augen starrten durch ihn hindurch, als er sich vorbeugte und das Ohr unter ihre Brust legte. Mit einem Fußtritt schleuderte Iwan ihn zur Seite. Und dann lachte er – ein schreckliches, irres Lachen, das das Blut zu Eiswasser werden ließ.

»So heilt ein Zar die kranke Zarin!« schrie er. »Sieh es dir an, Arzt! Bleib da stehen und rühr dich nicht!«

Er zog Marja aus dem Sessel hoch und drückte sie nach hinten auf das breite Bett. Was dann geschah, war ein Anblick, der sich in Trottau hineinbrannte wie ein Brandzeichen, unauslöschbar für alle Zeiten.

Bis zum Morgengrauen stand er vor der Wand der Ikonen, während Iwan und Marja auf dem breiten Bett in einer dem Wahnsinn nahen Leidenschaft miteinander und gegeneinander tobten. Es schien, als hätten sie die Gegenwart des Arztes vergessen – aber es schien nur so.

Zweimal, mitten im höchsten Rausch der Ekstase, drehte Iwan den Kopf um und starrte Trottau an. In seinem Blick lag nicht nur Triumph, sondern auch eine Drohung, die Trottau genau verstand: Wer das gesehen hat, wer Zeuge war, wie der Zar die Zarin liebt, ist kein Mensch mehr, er ist nur noch ein Ding. Nein, nicht einmal das! Er ist nichts als die Luft, welche die heißen, schwitzenden Körper umweht. Luft, die man hinausscheucht, indem man die Fenster öffnet.

Nach zwei Stunden fiel Iwan schließlich völlig ermattet aus dem Bett und lag halb ohnmächtig auf den Fellen, die den Boden bedeckten.



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