Der Lehrmeister by Pötzsch Oliver

Der Lehrmeister by Pötzsch Oliver

Autor:Pötzsch, Oliver [Pötzsch, Oliver]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Ullstein eBooks
veröffentlicht: 2019-10-24T16:00:00+00:00


* * *

Zwei Tage später trafen sie auf die ersten toten Kinder.

Es war in ebenjenem Dorf, von dem die Gäste im Wirtshaus gesprochen hatten. Schon von Weitem hörten sie einen Singsang, der sich bald als ein wie aus der Zeit gefallener bretonischer Choral entpuppte. Er wehte zu ihnen herüber vom Friedhof, welcher sich mit einer kleinen verfallenen Kirche ein wenig außerhalb des Orts befand. Eine niedrige Bruchsteinmauer umgrenzte das Areal, dahinter standen schief die Grabsteine. Die Straße führte daran vorbei.

Von seinem Ross aus betrachtete Johann eine Gruppe von vielleicht zwei Dutzend Bauern und Bäuerinnen, die in ihrer Mitte zwei kleine Särge trugen, nicht viel größer als Mitgifttruhen. Obwohl die Särge sehr leicht sein mussten, waren die Schultern der Tragenden gebeugt, als befände sich darin eine unendlich schwere Last. Ganz vorne, gleich hinter dem Pfarrer, gingen eine Frau und ein Mann, die sich gegenseitig stützten. Dabei stieß die Frau immer wieder hohe Klagelaute aus, sie reckte die Faust gen Himmel und schrie unverständliche Worte. Trotz ihrer noch jungen Jahre waren ihre Haare grau, das Gesicht schien auf eine fast unheimliche Weise gealtert. Auch der Mann, vermutlich der Vater der toten Kinder, war vom Kummer gezeichnet, fast mechanisch setzte er ein Bein vor das andere. Am Ende des Leichenzuges humpelte eine Greisin, die sich auf einen Stock stützte. Als Einzige schien sie die Reisenden hinter der Friedhofsmauer bemerkt zu haben. Sie drehte sich um, und ihr Blick blieb an Johann hängen. Sofort schlug sie ein Kreuz.

»An Diaoul!« , schrie sie und deutete mit dem Stock auf ihn. »Ha prest out evit ober un taol gouren gant an diaoul?«

Die anderen Trauergäste blieben stehen, der Zug stockte. Etliche Augenpaare waren nun auf die Neuankömmlinge gerichtet.

»Diaoul!« , schrie die Alte erneut.

»Was sagt sie?«, fragte Johann, der des Bretonischen nicht mächtig war.

»Hm, ich bin mir nicht sicher …« John runzelte die Stirn. »Wenn ich es recht verstehe, hält sie Euch wohl für den Teufel. Das mag an Eurer Lähmung liegen.«

In den letzten Tagen hatte sich Johanns Rücken ein wenig gekrümmt, wodurch es aussah, als hätte er einen Buckel. Johann musste John recht geben, man konnte ihn wirklich für den Teufel halten.

Sämtliche Friedhofsbesucher starrten ihn an, als wäre er ein fremdartiges böses Wesen. Der Pfarrer wandte sich in ­ärgerlichem Ton an die Trauergemeinde, woraufhin sich die Leute zögernd wieder von Johann abwandten. Die Träger mit den beiden winzigen Särgen setzten sich erneut in Bewegung, sie gingen auf eine Grube in der Mitte des Friedhofs zu, die Frauen weinten und klagten, die Kirchenglocken läuteten. Nur die Alte blieb stehen und zeigte auf ihn.

»Diaoul!« , rief sie erneut. »C’hwi zo o c’h en em bilet gant an diaoul!«

Johann wollte schon weiterreiten, als etwas Seltsames geschah. Die Greisin humpelte auf ein kleines Gatter in der Friedhofsmauer zu, betrat die Straße und sank in einer fast kindlichen Geste vor Johann und dem Ross auf die Knie.

»Was hat sie?«, fragte Johann erstaunt.

John hob die Augenbraue. »Ich weiß auch nicht.« Er ging auf die Greisin zu und zog sie an ihren spindeldürren Armen hoch, in ihren von tiefen Runzeln umrahmten Augen zeigten sich Tränen.



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