Der Landprediger by Jakob Michael Reinhold Lenz

Der Landprediger by Jakob Michael Reinhold Lenz

Autor:Jakob Michael Reinhold Lenz [Lenz, Jakob Michael Reinhold]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Clergy -- Fiction, Villages -- Germany -- Fiction, Germany -- Social life and customs -- 18th century -- Fiction
Herausgeber: MOST Publishing
veröffentlicht: 2004-10-31T16:00:00+00:00


"Wohlan, wenn du denn die Rolle der Poetin spielen willst, so mußt du sie ganz spielen, wie sie ehemals die Griechin gespielt hat. Stürz dich herab von diesem Felsen, rufe deinen Phaon noch einmal an und sag ihm, daß du für ihn stirbst—"

Hier hob er sie höher; Lieschen, der Sehen und Hören verging, warf sich hinter ihm auf die Knie, hielt ihn am Zipfel des Rocks und schrie mit aufgehobenen Händen: "Barbar, kennst du keine Verzeihung—"

"Nein, ich kenne keine", rief er sehr nachdrücklich—indem er sich umkehrte und die Frau vom Berge herabtrug "weil ich niemals gezürnt habe." Das arme Weib war bleich und blaß, und Lieschen weinte: "Ich habe dich nur zur Poetin weihen wollen, Albertinchen", sagte er; "denn ich sehe, daß du eher nicht gescheut werden wirst, als bis du einen solchen Sprung getan hast. Wie gesagt, willst du unsere Sappho sein, so tu es ihr nach; sonst geb ich keinen Pfifferling für all deine Oden und Lieder. Willst du aber mein lieb Weibchen sein, so laß mich dem jungen Gelbschnabel seinen Brief beantworten; ich werde alles schon so einrichten, daß deine Reputation, auch als Schriftstellerin, nichts dabei verlieren soll." Albertine warf sich auf die Knie und bat ihn bei seiner Verzeihung, er möchte sie dieses Wort nicht wieder hören lassen. In ihrem Leben sei ihr kein Name unerträglicher vorgekommen.

Nach dieser Katastrophe wurden keine Verse mehr gemacht; wohl aber die alten Liederchen von Hagedorn, Uz und Gleim wieder vorgenommen und gesungen, auch bisweilen eine Ode von Klopstock gelesen, oder Goethens Erwin durchgespielt. Sie machten auch kleine Familienstücke für sich, die sie aufführten, wozu Mannheim mit seinen Freunden den Plan entwarf, jedes aber darnach seine Rolle selber ausarbeiten mußte. Hauptsächlich aber parodierten sie unnatürlich sentimentale Stücke auf ihre Art, wie z. E. den Günther von Schwarzburg und dergleichen, welches denn ein unversiegbarer Quell von Ergötzungen für sie ward.

Mannheims Söhnchen wuchs heran. Er erzog ihn selber, nicht, daß er ihn viel unterrichtete, sondern nur, daß er ihm die Bücher hingab, aus denen er lernen konnte, und ihm erlaubte, ihn zu fragen, wenn er nicht fortkam. Er hatte den Grundsatz, daß alles, was aus dem Menschen wird, aus ihm selber kommen muß, und daß seine Erzieher aufs Höchste nur als Stahl dienen müssen, etwas aus ihm herauszuschlagen. Zu dem Ende gab er wohl acht, daß der Bube in seiner Studierkammer, wo er ihm einige Bücher wie von ungefähr hingelegt, auch wohl gar diejenigen anzurühren aufs strengste verboten hatte, von denen er am liebsten wünschte, daß er sie läse; daß er, sage ich, auf dieser Stube von keinen unzeitigen Spielgesellen, oder von anderm Lärmen gestört wurde. Das war seine ganze Erziehung. Und sein kleiner Johannes, der ohnedem bei Tisch von hunderttausend Sachen sprechen hörte, die seine Neugier reizten, und kein Mensch, auch wenn er fragte, sich die Müh' gab, ihm ganz zu erklären, sondern ihn immer auf die Universität und die berühmten Männer verwies, die davon geschrieben hätten, verschlang alle Bücher, die diesen Namen auf dem Titel hatten, mit einer Begierde, die ihn noch in seinem Knabenalter zu einem neuen Beispiel frühzeitiger Gelehrten machte.



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