Der Laden by Erwin Strittmatter
Autor:Erwin Strittmatter [Strittmatter, Erwin]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-09-12T16:00:00+00:00
Paule schmäht uns, weil wir es nicht wissen, und läßt uns nicht aus: Wißt ihr, was Wasser is?
Wir lachen. Wasser is naß, sagen wir, is im Brunnen, im Teich, Regen is ooch Wasser. Alles Geblabbere, sagt Paule.
Wasser ist eine Flüssigkeit, sage ich und bin stolz auf meine gelehrte Wendung, aber Paule gibt sich auch mit meiner Erklärung nicht zufrieden. Er erkennt nur die Definition an, die im Realienbuche steht, und zwar wortwörtlich, wie er sie gelernt hat.
Ich stieß im Leben noch oft auf Belehrer, die sich keinen Zentimeter vom eingelernten Büchertext hinwegwagten, und am peinlichsten war mir das, da ich mich als mannbarer Mann auf Erwachsenenschulen in Sachen Ideologie in solcher Weise belehren lassen sollte. Peinlich! Peinlich!
Das Wasser findet sich in allen drei Zusammenhangsformen in der Natur, der Tierkörper besteht zu etwa sieben Zehnteln, der Pflanzenkörper oft bis zu neun Zehnteln und darüber aus Wasser …, belehrt uns Paule und schließt eine Befragung über Kaiser Wilhelm II. an: Des Kaisers erste Sorge war, den Frieden zu erhalten … Und wie hat Wilhelm das gemacht?
Wir glotzen.
Wißta wieder nich: Wer den Frieden will, bereite sich zum Kriege, hat er gesoagt, der Wilhelm.
Und zum Kriege is ja denn ooch gekumm, sagt Wittlings Hermann.
Die vorlaute Bemerkung bringt Paule in Wallung. Er setzt sich auf, seine Stimme wird zänkisch: Um alle Angelegenheiten des Landes bekümmert er sich als Landesvater, überall wo Not ist, möchte er sie lindern, mit eigenen Augen sucht er sich von den Zuständen der verschiedenen Landesteile zu überzeugen, daher macht er häufig Reisen ...
Und nu is er ganz und goar fortgereest, sagt Wittlings Hermann.
Zuviel für Paule. Das stand nicht im Realienbuch. Er springt auf, will uns ans Leder. Verfluchte Kräten, schimpft er, sich übern alten Mann lustig machen, den Lehrer wär ichs soagen!
In der Schule versuchen wir uns am nächsten Tag zu wehren: Nagorkans Onkel war angesoffen, sagt Sastupeits Gustav. Er ist der erste, der sich über das Bankpult legen muß, dann kommen wir, die anderen, und werden über den Bock gezogen. Rumposch erklärt, es sei unumgänglich, daß sich ein Mann von Zeit zu Zeit einen antrinke, damit sei das Vierte Gebot: Du sollst Vater und Mutter ehren … keinesfalls außer Kraft gesetzt.
Ich erzählte schon: Koaliks Anna, Nagorkans Paule und zwei Bergleute aus Klein Kölzig arbeiten miteinander auf den Tagebaukippen. Die Namen der beiden Klein Kölziger weiß ich nicht mehr. Sie spielen in der Geschichte, die ich zu erzählen habe, nur kleine Rollen. Mag sein, daß sie in Klein Kölzig größere Rollen spielten. Darüber müßte einer erzählen, der in Klein Kölzig lebte, das damals noch zum Kreis Sorau gehörte. Vielleicht gibt es so einen.
Wenn Anna auch Männerschuhe trägt, deren Schäfte sie mit ihren Waden nicht ausfüllt, so ist sie doch ein Weib. In welchem Weibe verbirgt sich nicht der Wunsch, bis ins Alter und länger, als wir Männer es wahrhaben wollen, von einem Manne umarmt, von einem Manne in Brunst oder Inbrunst anerkannt zu werden? Eine gewisse Lust, sie hört nicht auf, wenn der angeheiratete Mann in Flandern aus dem Leben herausgeschossen wurde.
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