Der Kuss des Anubis by Brigitte Riebe

Der Kuss des Anubis by Brigitte Riebe

Autor:Brigitte Riebe [Riebe, Brigitte]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-09-14T04:00:00+00:00


ACHTES KAPITEL

Der schrille Katergesang vor dem Haus war verstummt. Bald schon würde Paus Bauch sich runden von der neuerlichen Schwangerschaft und schon längst beanspruchte sie wieder ihren gewohnten Platz in Mius Bett. Bislang hatte Miu es stets als beruhigend empfunden, den warmen Tierleib an den Füßen zu spüren, doch heute fand sie keinen Schlaf. Seit dem Giftanschlag im Palast vor einer Woche kreisten ihre Gedanken unablässig um jenen Abend. Dass Jamu das vergiftete Entenfleisch verweigert und damit das Leben des Pharaos gerettet hatte, erschien ihr wie ein kleines Wunder. Wie froh sie war, Tutanchamun den roten Kater geschenkt zu haben!

Aber was war danach Schreckliches geschehen!

Zwei Menschen hatten sterben müssen, die vermutlich gar nichts mit dem Gift im Essen zu tun hatten – und all die anderen Festteilnehmer hatten dabei zugesehen, sie selber eingeschlossen, ohne auch nur einen Finger zu rühren. Das waren qualvolle Bilder, die sie nicht mehr loslassen wollten.

Irgendwann, noch vor dem Morgengrauen, hielt sie es nicht länger aus und schlich die Treppe hinauf zu ihrer Großmutter. Als kleines Mädchen war sie manchmal morgens heimlich in ihr Bett geschlüpft – und genau das hatte sie jetzt auch vor. Zunächst schien alles nach Plan zu verlaufen: Mius nackte Sohlen tappten lautlos über die nächtlich kühlen Fliesen, und es gelang ihr sogar, die Tür zu öffnen, ohne dass sie wie üblich geknarrt hätte. Doch zu ihrer Überraschung schlief Raia nicht, sondern saß beim Schein einer Öllampe am Fenster.

»Komm rein«, sagte sie, ohne sich umzudrehen, als hätte sie bereits auf sie gewartet. »Und setz dich zu mir, mein Mädchen!«

Miu folgte der Aufforderung und ließ sich auf einem Hocker nieder. Ihre Hand suchte die der Großmutter.

Ein tiefer Seufzer entfuhr ihr. Raias bloße Nähe erleichterte sie ein wenig.

»Wenn du reden willst, dann nur zu«, sagte Raia nach einer Weile.

»Ich weiß, du hörst es nicht gern, wenn ich über den Pharao spreche«, begann Miu vorsichtig. »Aber ich muss es tun.«

»Vielleicht hätte ich mich dir gegenüber anders verhalten sollen, weniger mahnen, dafür besser zuhören. Aber ich wollte dich doch nur beschützen.« Sie drückte Mius Hand. »Was ist es, das dir so schwer auf dem Herzen liegt?«

»Natürlich bin ich froh, dass ihm nichts passiert ist. Aber wie kann er so kaltblütig und gemein sein?« Miu verschluckte sich fast, so aufgeregt war sie auf einmal. »Einfach dabei zuzuschauen, wie zwei seiner Diener vor seinen Augen am Gift zugrunde gehen – und das auch noch unschuldig!«

»Woher willst du das wissen? Und was hätte der Pharao schon anderes tun sollen? Den König töten zu wollen, verstößt gegen die Göttin Maat und gegen das Gesetz, das die Harmonie in der Welt bewirkt. Wer das versucht, gehört der Totenfresserin.« Raia klang sehr ernst. »Außerdem hättest beinahe auch du von dem vergifteten Fleisch gegessen – das ist es, was mir nicht mehr aus dem Kopf gehen will!«

»Jedenfalls will ich Tutanchamun nicht wiedersehen«, sagte Miu aufgebracht. »Ich hasse ihn für das, was er getan hat!«

»Und jetzt willst du von mir wissen, wie man jemanden verabscheuen und gleichzeitig doch so anziehend finden kann?«, sagte Raia.



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