Der Kampf mit dem Dämon by Stefan Zweig
Autor:Stefan Zweig
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 3-596-22282-6
Herausgeber: Fischer Taschenbuch Verlag
Lebensplan
Alles liegt in mir verworren wie die
Wergfasern im Spinnrocken.
Aus einem Jugendbrief
Kleist hat dieses Chaos seines Gefühls früh in sich gefühlt. Der Knabe schon und viel stärker dann der zwanzigjährige Gardeoffizier spürt schon halb unbewuÃt den innern übermächtigen Schwall des Gefühls gegen die enge Welt. Aber er meint, diese Verwirrung und Befremdung sei nur Gärung der Jugend, unglückliche Einstellung ins Leben und vor allem Mangel an Vorbereitung, an System, an Erziehung. Und wahrhaft fürs Leben erzogen war Kleist ja niemals worden: aus dem verwaisten Elternhaus kommt er in eines emigrierten Predigers Zucht, dann in die Kadettenschule, wo er Kriegskunst lernen soll, indes seine heimlichste Neigung Musik ist, dieser erste Ausbruch seines Gefühls ins Unendliche. Aber nur heimlich ist es ihm gestattet, die Flöte zu spielen (meisterlich soll er sie gehandhabt haben), tagsüber hat er KommiÃdienst in dem harten preuÃischen Heere, Exerzierfron auf den öden Sandkarrees seiner Heimat. Und der Feldzug von 1793, der ihn schlieÃlich in einen wirklichen Krieg wirft, ist der jämmerlichste, kläglichste, langweiligste, unheroischeste der deutschen Geschichte. Nie hat er seiner wie einer Kriegstat Erwähnung getan: einzig in einem Gedicht an den Frieden atmet er seine Sehnsucht aus, dieser Sinnlosigkeit zu entrinnen.
Der Waffenrock drückt ihm zu eng die aufgeweitete Brust. Er fühlt in sich Kräfte gären und fühlt auch, daà sie aus ihm nicht wirksam in die Welt treten könnten, solange er sie nicht zu disziplinieren weiÃ. Niemand hat ihn erzogen, niemand ihn belehrt: so will er sein eigener Pädagog sein, sich »einen Lebensplan zimmern« oder, wie er sagt, »richtig leben«; und da er ein PreuÃe ist, so muà sein erster Gedanke der einer Ordnung sein. Er will Ordnung in sich schaffen, »richtig leben«, nach Prinzipien, nach Ideen, nach Maximen, und er glaubt, er könne dies Chaos in sich durch eine geregelte, eine schematische, eine gemäÃe Existenz zähmen, um »in ein konventionelles Verhältnis zur Welt zu kommen«. Sein Grundgedanke ist: jeder Mensch müsse einen Lebensplan haben, und dieser Wahn läÃt ihn fast bis an sein Lebensende nicht mehr los. »Ein freier denkender Mensch bleibt da nicht stehen, wo der Zufall ihn hinstöÃt ⦠er fühlt, daà man sich über sein Schicksal erheben könne, ja, daà es im richtigen Sinn selbst möglich sei, das Schicksal zu leiten. Er bestimmt nach seiner Vernunft, welches Glück für ihn das höchste sei, er entwirft sich seinen Lebensplan ⦠Solange ein Mensch noch nicht imstande ist, sich selbst einen Lebensplan zu bilden, solange ist und bleibt er unmündig, er stehe nun als Kind unter der Vormundschaft seiner Eltern oder als Mann unter Vormundschaft des Schicksals« â so philosophiert der Einundzwanzigjährige und meint des Fatums zu spotten. Noch weià er nicht, daà sein Schicksal innen ist und zugleich jenseits seiner Macht.
Aber gewaltsam stöÃt er sich in das Leben ab. Er zieht den Soldatenrock aus â »Der Soldatenstand«, schreibt er, »wurde mir so verhaÃt, daà es mir nach und nach lästig wurde, zu seinem Zwecke mitwirken zu müssen.« Aber wie nun, einer Zucht entronnen, sich selbst eine andere finden? Ich sagte schon, Kleist müÃte kein PreuÃe sein, wenn sein erster Gedanke nicht Ordnung gewesen wäre.
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