Der Junge, der seinen Geburtstag vergaß by Rudolf Frank
Autor:Rudolf Frank [Frank, Rudolf]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Erster Weltkrieg, Zivilcourage, Freundschaft, Polen, Russland, 1914, Gesellschaftskritik
Herausgeber: Ravensburger Buchverlag
veröffentlicht: 2015-10-13T16:00:00+00:00
Advent
Beim Militär trägt jeder eine Uniform, jeder: vom einfachen Kanonier und Musketier bis hinauf zum General und Feldmarschall. Uniform bedeutet auf Deutsch Einform, das heißt Gleichheit und Einheit des Aussehens. Doch wie die meisten Worte der Kriegssprache beruht auch dieses Wort auf einer Täuschung. Rundheraus: Es ist eine Lüge.
Erstens sind die Uniformen der Generäle und Offiziere aus besserem und feinerem Tuch als die der Mannschaft. Das sieht man auf den ersten Blick. Alles sitzt wie angegossen, ist ja auch nach Maß gemacht, ebenso die Stiefel, die aus feinstem Leder sind. Die Uniformen der Mannschaften dagegen sind plump, unansehnlich, Massenware, und wenn mal ein Paar Stiefel wirklich passt, ist das ein Zufall.
Zweitens haben alle Uniformen vom Unteroffizier an aufwärts am Kragen, auf den Achseln, an der Mütze, am Ärmel, an den Hosen besondere Abzeichen. Diese machen die »Uniform«, die »Einheitstracht«, zum Ausdruck grenzenloser Ungleichheit und Uneinheit. Der Soldat ist bei Androhung schwerer Strafen gezwungen, jene angenähten Abzeichen aus geflochtenen Schnüren, Sternchen, Knöpfen, farbigen Litzen und ähnlichem Zeug mit größter Ehrerbietung zu grüßen. So wie einst Wilhelm Tell, der Befreier der Schweiz, den Hut des Tyrannen Geßler. Aber Tell grüßte nicht, er war ein freier Mann und wurde ein Held. Aber sobald ein Mensch die Uniform anzieht, ist er kein freier Mann mehr. Ist er überhaupt noch ein Mensch? Im Kriege nicht. Im Krieg wird er zur Mordmaschine, der Offizier, ob er es nun will oder nicht, zum Mordmaschinisten. Der Infanterist dient meist als Kanonenfutter.
»Kanonen-Futter«, grauenhaftestes Wort der deutschen Sprache! Es bezeichnet nicht etwa das Öl, mit dem man die Kanonen schmiert, oder die Pulverladung oder die Geschosse, die man in ihre unersättlichen Rohre hineinschiebt, es bezeichnet die Menschen, die von den Tyrannen der Menschheit vor die Kanonen getrieben werden, dass die zu fressen haben und Blut zu saufen.
Ein Mann mit Abzeichen an der Uniform wird »Vorgesetzter« genannt. Ein Mann ohne Abzeichen oder mit geringeren Abzeichen an der Uniform wird »Untergebener« genannt, der einfache Mann heißt auch »Gemeiner«, obschon er durchaus nicht gemeiner ist als die Vorgesetzten mit den Namensverzierungen: Unteroffizier, Offizier, Stabsoffizier. Wenn ein Untergebener auch vierzig Jahre alt ist oder noch mehr, so alt wie Distelmann zum Beispiel oder Rosenlöcher, und es kommt einer mit Abzeichen des Weges, irgendeiner, den er gar nicht kennt, nie gesehen hat, irgendein junger Mensch, der dem Alter nach sein Sohn sein könnte: Dann muss der Distelmann oder der Rosenlöcher grüßen, und zwar zuerst, und nicht bloß so: Grüß Gott, wie geht’s! O nein, er muss mindestens sechs Schritte vorher sich zusammenreißen: rechte Hand an die Kopfbedeckung, zuckzuck! und steif wie ein Besenstiel an dem verzierten jungen Herrn vorbeistelzen. Erst wenn er drei Schritte hinter dem Vorgesetzten ist, darf er sich wieder einigermaßen wie ein Mensch bewegen. Sogar die Autos, in denen die Offiziere zu fahren pflegten, mussten damals von den Mannschaften gegrüßt werden, auch wenn überhaupt niemand drin saß: die leeren Autos.
All das geschah im Namen der militärischen Disziplin. Ihr opferte man die menschliche Vernunft und die menschliche Freiheit. Disziplin, das heißt beim Militär: Der Soldat muss tun, was ein Vorgesetzter befiehlt.
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