Der Judaskuss by Anna Grue

Der Judaskuss by Anna Grue

Autor:Anna Grue [Grue, Anna]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783037920411
Herausgeber: Oetinger E-Books
veröffentlicht: 2014-01-13T00:00:00+00:00


32 / Freitag, 20. April 2007

Weicher Sonnenschein lag über Christianssund, ließ die Mauern vor dem unwirklich blauen Himmel in warmen, gelben Nuancen erscheinen und den Springbrunnen auf dem Rathausmarkt munter glitzern. Aus dem Polizeipräsidium blickte man in einen hübschen, beinahe sommerlichen Morgen. Aber Flemming ließ sich nicht täuschen, jedenfalls nicht mehr. Er hatte sich an diesem Morgen von dem sonnensatten Glanzbild verlocken lassen und nur eine dünne Windjacke angezogen. Bereits während der kurzen Fahrt im Wagen war ihm klar geworden, dass es eine ausgesprochen schlechte Entscheidung gewesen war. Die Luft war eiskalt, mit einem metallischen Nachgeschmack wie kurz vor heftigem Schneefall. Aus reiner Faulheit hatte er allen Instinkten getrotzt und an der Wahl seiner Bekleidung festgehalten – mit dem Resultat, dass er nun mit klappernden Zähnen und beiden Händen am lauwarmen Heizkörper in seinem Büro saß.

Es klopfte.

»Ja?«

Pia Waage steckte den Kopf hinein. »Du hast Besuch.«

»Wer?«

»Annemarie Kjeldsen und Kamma Moritzen.«

Flemming rieb sich die Hände, während er nachdachte. Er hatte Mikaels Mutter in den zurückliegenden Wochen mehrfach vernommen, sowohl mit als auch ohne ihre Freundin. Und nicht ein einziges Wort hatte er aus ihr herausbekommen, weder über ihren verstoßenen Sohn noch über ihren Exgatten. Sie blickte einfach nur auf den Tisch, schüttelte den Kopf und antwortete ausschließlich auf belanglose Fragen, nie auf die wirklich wichtigen. Der Gedanke, noch ein paar fruchtlose Stunden in Gesellschaft der beiden Damen zu verbringen, war nicht gerade verlockend. Auf der anderen Seite war es das erste Mal, dass Frau Kjeldsen sich freiwillig an ihn wandte. Vielleicht gab es ja doch eine Chance …

»Bring sie herein«, sagte er. »Und bleib hier, wenn du Zeit hast.«

Einen Augenblick später standen sie in seinem kleinen Büro. Keine der beiden Frauen hatte bei der Kleiderwahl an diesem Morgen Flemming Torps Fehler wiederholt. Annemarie Kjeldsen trug einen dunkelblauen Wollmantel mit Pelzbesatz, Kamma Moritzen hatte ihren üppigen Körper unter einem gehäkelten Poncho mit langen Fransen versteckt. Beide trugen zudem dicke Strickmützen und Fäustlinge, und sie hatten rote verheulte Augen. Sie sahen aus, als hätten sie seit mehreren Tagen nicht mehr geschlafen.

»Trinken Sie eine Tasse heißen Tee?«, erkundigte sich Pia.

Sie nickten.

»Sie können Ihre Mäntel hierher hängen.« Flemming wies auf einen stummen Diener, an dem seine Sommerjacke hing und sich ihrer Unzulänglichkeit schämte. »Ist noch einmal richtig kalt geworden, was?«, begann er die Konversation, während er den Damen half.

»Ja.« Annemarie Kjeldsens Antwort kam so leise, dass er ihren Inhalt mehr erriet als verstand.

»Wir sind nicht hier, um übers Wetter zu reden«, erklärte Kamma im Ton eines Rockers, der das monatliche Schutzgeld kassieren wollte. »Wir sind der Ansicht, dass es jetzt reicht.«

»Reicht? Was reicht?«

»Es ist jetzt über sieben Wochen her, seit Mikael …« Sie zögerte und warf ihrer Freundin einen raschen Blick zu. »In das Haus des Herrn gerufen wurde«, vollendete sie den Satz. »Und es sieht nicht so aus, als würde es irgendeinen Fortschritt in der Angelegenheit geben.«

»Tja, das würde ich so nicht sagen«, erwiderte Flemming.

»Aber wir«, unterbrach sie ihn scharf. »Sie sind keinen Schritt weitergekommen.«

»Das ist nicht wahr. Wir verfolgen im Augenblick mehrere Spuren, und wie es aussieht …«

»Was für Spuren?«

»Das kann ich leider nicht vertiefen.



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