Der Igel by von Schirach Ferdinand

Der Igel by von Schirach Ferdinand

Autor:von Schirach, Ferdinand [von Schirach, Ferdinand]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783492957045
Herausgeber: Piper
veröffentlicht: 2014-12-07T00:00:00+00:00


Die Verhandlung wurde unterbrochen und Karim vor die Tür geschickt. Zuvor hörte er den Richter noch zum Staatsanwalt sagen, dass nur noch die Gegenüberstellung bleibe, weitere Beweismittel habe man nicht. ›Die erste Runde ist gut gegangen‹, dachte er.

Als Karim wieder hereingerufen wurde, wurde er gefragt, ob er vorbestraft sei, was er verneinte. Die Staatsanwaltschaft hatte einen Registerauszug besorgt, der das bestätigte.

»Herr Abou Fataris«, sagte der Staatsanwalt, »Ihnen ist doch klar, dass Sie mit Ihrer Aussage Imad belasten.«

Karim nickte. Beschämt sah er nach unten auf seine Schuhe.

»Warum tun Sie das?«

»Also«, er stotterte jetzt sogar ein wenig, »der Walid ist auch mein Bruder. Ich bin der Jüngste, die sagen alle immer, ich bin der Dumme und so. Aber der Walid und der Imad sind halt beide meine Brüder. Verstehen Sie? Und wenn es aber ein anderer Bruder gewesen ist, dann kann doch der Walid nicht in den Knast wegen dem Imad. Besser wäre es schon, wenn es ein ganz anderer, also so nicht aus der Familie … aber es ist auch ein Bruder. Der Imad halt.«

Und nun holte Karim zum letzten Schlag aus.

»Herr Richter«, sagte er, »der Walid war’s wirklich nicht. Aber das stimmt schon, der Walid und der Imad sehen ganz gleich aus. Schauen Sie.« Er kramte aus seinem speckigen Geldbeutel ein zerknittertes Familienbild mit allen neun Brüdern hervor und hielt es dem Vorsitzenden unangenehm nah vor die Nase. Der Vorsitzende griff danach und legte es ärgerlich auf den Richtertisch.

»Da, der Erste da, das bin ich. Der Zweite, Herr Richter, das ist der Walid, der Dritte, das ist der Farouk, der Vierte, das ist der Imad, der Fünfte, das ist der …«

»Dürfen wir das Bild behalten?«, unterbrach der Pflichtverteidiger, ein freundlicher älterer Anwalt, dem plötzlich der Fall nicht mehr so aussichtslos erschien.

»Nur wenn ich’s wiederkriege, ich hab nur das eine. Das haben wir mal für die Tante Halima im Libanon gemacht. Vor einem halben Jahr, also so alle neun Brüder nebeneinander, verstehen Sie?« Karim sah die Prozessbeteiligten an, ob sie verstanden. »Damit die Tante mal alle sieht. Dann haben wir es aber doch nicht geschickt, weil der Farouk gesagt hat, dass er blöd aussieht…« Karim sah sich das Bild nochmals an. »Er sieht auch blöd drauf aus, der Farouk. Er ist gar nicht …«

Der Vorsitzende winkte ab. »Gehen Sie auf Ihren Platz zurück, Herr Zeuge.«

Karim setzte sich auf den Zeugenstuhl und begann von Neuem: »Also noch mal, Herr Richter. Der Erste da, das bin ich, der Zweite, das ist der Walid, der Dritte, das ist der Farouk, der Vierte …«

»Danke«, sagte der Richter genervt. »Wir haben das verstanden.«

»Also, die verwechselt jeder, auch in der Schule haben die Lehrer sie verwechselt. Einmal haben die bei einer Klassenarbeit in Bio, weil der Walid so schlecht war in Bio …«, fuhr Karim unbeirrt fort.

»Danke«, sagte der Richter laut.

»Nee, aber ich erzähl das mal mit der Bioarbeit, wie das war …«

»Nein«, sagte der Richter.

Karim wurde als Zeuge entlassen und ging aus dem Saal.

Der Pfandleiher saß auf der Zuschauerbank. Das Gericht hatte ihn bereits gehört, aber er wollte die Verurteilung miterleben.



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