Der Heiler by Antti Tuomainen

Der Heiler by Antti Tuomainen

Autor:Antti Tuomainen [Tuomainen, Antti]
Die sprache: deu
Format: mobi
Tags: Thriller
ISBN: 9783843703215
Herausgeber: Ullstein eBooks
veröffentlicht: 2012-09-23T22:00:00+00:00


6 Als ich an der Haltestelle beim Warenhaus Stockmann aus der Straßenbahn stieg und die nassen Mäntel, den Husten und die besorgten Mienen darin zurückließ, war der verregnete Tag bis zur Mittagsstunde vorangeschritten. Helsinkis Zentrum versuchte nach besten Kräften daran zu erinnern, dass am nächsten Tag Heiligabend war. Hier und dort blinkten ein paar Weihnachtslichter wie unter Zwang, matt glühend schienen sie sich, außer nach besseren Zeiten, auch nach ihren verschwundenen Gefährten zu sehnen.

Ich bekam sofort kalte Tropfen ins Gesicht. Ich wischte sie weg, schloss mich dem Menschenstrom an und merkte erst nach einer Weile, dass ich mitten durch den Verkehr lief. Stille Nacht, heilige Nacht schallte es mir mehrstimmig entgegen.

Auf dem Platz bei den Drei Schmieden stand ein großer Weihnachtsbaum. Seine roten und gelben Lichter leuchteten im Nieselregen wie Tausende kleine Ampeln. Neben der Fichte war ein Polizeipanzer geparkt. Polizisten waren reichlich unterwegs, auch zu Fuß, ebenso Security-Mitarbeiter. Letztere patrouillierten zu zweit in schwarzen oder grauen Overalls die Bürgersteige und Eingangsbereiche der Geschäfte entlang. Es waren beinahe so viele wie die Kunden, die Weihnachtseinkäufe machten. Vor dem Eingang zu Stockmann, unter der Uhr, zählte ich sechs Wachmänner. Weitere befanden sich im Warenhaus, teilweise in Zivil.

Am Rand des Platzes waren dicht an dicht verschiedene Spendensammelpunkte aufgebaut, und sie alle wollten Cash. Gesammelt wurde hauptsächlich für einheimische und nahegelegene Hilfsprojekte: Schulen, Krankenhäuser, Kinderheime. Der traditionelle Weihnachtsspendentopf der Heilsarmee stand mitten auf dem Platz, umringt von vier Sängerinnen und drei Sängern, die die Stille Nacht, heilige Nacht beschworen.

Ich fischte einen Geldschein aus der Tasche und warf ihn in den Topf. Dabei dachte ich daran, dass ich unsere Ersparnisse verplemperte, in den vergangenen anderthalb Tagen hatte ich mehr Geld verbraucht als in den sechs Monaten davor. Aber wir hatten die Ersparnisse für den äußersten Notfall vorgesehen, und wenn Johannas Verschwinden keiner war, was dann. Ich warf dem Geldschein noch ein paar Münzen hinterher und ging auf der Aleksanterinkatu in östliche Richtung.

Ich kam an Geschäften vorbei, die in ihren Schaufenstern bis zu 95 Prozent Rabatt anpriesen. Eine Goldschmiede bot Markenuhren zu Preisen an, die noch vor ein, zwei Jahren einen Käuferansturm ausgelöst hätten. Jetzt maßen die Gold- und Platinuhren in ihren Vitrinen eine Zeit, die es nicht gab.

Die Schnellimbisse hatten dichtgemacht, nur die Schuh- und Bekleidungsläden hielten sich dank hartnäckiger Kunden. Die Kneipe an der Ecke zur Mikonkatu pries auf ihrem Straßenschild billiges Bier an, das Lunchangebot war durchgestrichen.

An der Ecke der Mikonkatu bog ich nach links ab, und als ich zur Yliopistonkatu, der Universitätsstraße, weitergehen wollte, geriet ich beinahe in eine Schlägerei.

Ein großer, breitschultriger, nach einem Finnen aussehender Glatzkopf in Lederjacke stand einem schmalen, jungen Asiaten in Kapuzenshirt gegenüber. Der Glatzkopf versuchte den Jungen vor seine schweren Fäuste zu bekommen, doch der wich den Schlägen geschickt aus. Nachdem der Jüngere ein paar gerade Rechte umgangen hatte, ließ er seinen linken Fuß sprechen.

Der Tritt überraschte alle, vor allem den Glatzkopf. Ein Klatschen und das Geräusch des brechenden Nasenknochen waren mehrere Meter weit zu hören. Der Glatzkopf wankte, versuchte noch eine gerade Rechte, hinter die er sein ganzes Körpergewicht legte.



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